Wackersdorf

Zum Vergrößern klicken

Heutzutage weiß man nur zu gut um die Risiken, die der Bau einer Wiederaufbereitungsanlage von Kernbrennstoffen mit sich bringt. 1985 befand man sich dagegen noch kurz vor dem ersten großen Super-GAU in der Menschheitsgeschichte und hatte die möglichen Folgen eines Atomunglücks massiv unterschätzt. Die bayerische Gemeinde Wackersdorf wurde in genau dieser Zeit zum Sinnbild aufkeimender Beunruhigung, als sich eine ganze Dorfgemeinschaft gegen den Bau eines solchen Betriebsgeländes engagierte und sich nicht zuletzt aufgrund der Tschernobyl-Katastrophe ein Jahr nach Baubeginn gegen die Pläne durchsetzen konnte. Regisseur Oliver Haffner errichtet diesen Bürgern nun ein filmisches Denkmal, das seine Premiere auf dem Filmfest in München feiert.

Webseite: www.alamodefilm.de

Deutschland 2018
Regie: Oliver Haffner
Darsteller: Johannes Zeiler, Anna Maria Sturm, Peter Jordan, Fabian Hinrichs, Sigi Zimmerschied, Johannes Herrschmann, Frederic Linkemann, Monika Manz
Länge: 123 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 20. September 2018

FILMKRITIK:

Die Oberpfalz in den Achtzigerjahren: In der kleinen Gemeinde Wackersdorf im Landkreis Schwandorf geht alles seinen gewohnten Gang, bis die bayerische Staatsregierung die Pläne für eine Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe aufnimmt. Damit die Bürger diesen einschneidenden Schritt fraglos über sich ergehen lassen, versuchen die Verantwortlichen vor allem den Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler) auf ihre Seite zu ziehen und schmieren ihm deshalb ordentlich Honig ums Maul. Doch unter den Bürgern regen sich erste Widerstände, die auch an Schuirer nicht spurlos vorbeigehen. Sogar innerhalb seiner eigenen Familie kommen Fragen dazu auf, ob die Politiker ihnen grundsätzliche Risiken nicht einfach verschweigen würden. Vor allem seinen Kindern und einem engagierten Lehrer gelingt es, gezielt Zweifel am WAA-Vorhaben zu streuen, bis auch Schuirer schließlich Widersprüche in den Versprechen seiner Vorgesetzten entdeckt. Er beschließt, sich den Protesten seiner Bürger anzuschließen und stößt dabei auch auf Widerstände aus den eigenen Reihen, bis sich im viele hundert Kilometer entfernten Tschernobyl plötzlich der ultimative Super-GAU ereignet…

Heutzutage ist vor allem die niedersächsische Gemeinde Gorleben zum Inbegriff des Atomstreits geworden. Dort befindet sich eines der bekanntesten Atommülllager, das immer wieder von Protesten und argen Auseinandersetzungen zwischen Atomgegnern und der Polizei begleitet wird, wenn Züge ihren hochgiftigen Müll in die Verbrennungsanlage transportieren. Doch schon viele Jahre vorher kam es zu ähnlichen Konfrontationen: In „Wackersdorf“ schildert Regisseur Oliver Haffner („Ein Geschenk der Götter“) nun einen der ersten, auf der Frage „Atomkraft ja oder nein?“ basierenden Konflikte zwischen Bürgern und der deutschen Regierung. Der Mitte der Achtzigerjahre ausgetragene Streit endete damals zu Gunsten der Wackersdorfer, das eigentliche Thema wird allerdings so lange aktuell und präsent sein, bis es hierzulande zum Atomausstieg kommt. Nach „WAAhnsinn – Der Wackersdorffilm“ aus dem Jahr 1986 ist das bereits die zweite Spielfilmproduktion rund um den Widerstand in der Oberpfalz, den Oliver Haffner betont nüchtern und trotzdem mit der ständigen Betonung auf die ernsten Umstände der Prämisse inszeniert.  

Die Einen mögen es trocken nennen, die anderen „aufs Wesentliche reduziert“ – „Wackersdorf“ ist erwartungsgemäß kein Film, in dem visuell auf der Leinwand viel passiert. Haffner hätte sein Projekt auch guten Gewissens für das öffentlich-rechtliche Fernsehen produzieren können, denn aus technischer Sicht präsentiert sich sein Film betont unspektakulär. Erzählerisch sagt sich der auch für das Drehbuch mitverantwortliche Haffner allerdings von den gängigen TV-Drama-Mechanismen los. In „Wackersdorf“ konzentriert sich alles auf die politischen Aspekte der Geschichte, während die persönlichen Belange der Charaktere weitgehend unberücksichtigt bleiben. Es gibt keine Lovestory, keine innerfamiliären Konflikte – stattdessen steht ganz allein das politische Engagement des Protagonisten Hans Schuirer im Fokus, das nur sehr vereinzelt vom moralischen Dilemma des Mannes emotional unterfüttert wird; immerhin ist er zunächst noch selbst von den WAA-Plänen überzeugt, bis sich ganz langsam die Erkenntnis einstellt, die Pläne der Regierung auch als Mitglied derselben zu hinterfragen.

Obwohl vor allem die Gespräche zwischen Hans und dem unangenehm-schmierigen Karl-Heinz (Florian Brückner) als Repräsentant des Bauvorhabens alles andere als subtil ausfallen (als Zuschauer fragt man sich von Anfang an, wie man so einem Widerling in seiner vorgespielten Souveränität eigentlich auf den Leim gehen kann), gefällt die Dynamik zwischen den beiden Männern in ihrer Eindeutigkeit. Nach und nach kann man sich in die Gedanken der zunächst ein wenig hysterisch gezeichneten WAA-Gegner hineinversetzen, bis sich der auf der Leinwand entfaltende Zusammenhalt gegen die Baupläne auch auf das Publikum überträgt. Haffner inszeniert die Geschichte derart realistisch und bodenständig, dass man am Ende genau zu wissen glaubt, wie all das damals genau abgelaufen ist. Und mit der Idee, zwischendrin immer wieder echte Fernsehausschnitte aus den Achtzigerjahren einzuspielen, die mit der Tagesschau zu dem Atomunglück von Tschernobyl ihren zwar tragischen, aber doch irgendwie auch krönenden Abschluss finden, unterstreicht der Regisseur schließlich noch einmal, dass all das hier keine Fiktion ist, sondern einmal beklemmende Wirklichkeit war.

Antje Wessels