Zwischen den Zeilen

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Olivier Assayas macht nicht unbedingt bequeme Filme. Oder solche, die es dem Publikum leicht machen würden. Das gilt auch für „Zwischen den Zeilen“, an dessen Geschichte Assayas schon in den frühen 2000er Jahren feilte, deren Relevanz aber erst jetzt zum Tragen kommt. Weil er sich mit Hilfe seiner Figuren damit auseinandersetzt, dass die Welt immer im Wandel ist. Exemplarisch zeigt sich das am Buchgeschäft, das von der Digitalisierung gänzlich neu erfunden wird. Das beschäftigt die Hauptfiguren, aber mehr und mehr geht es um ihr persönliches Leben, ihre Affären und Liebschaften, ihre Treue und Untreue und die Frage, wie man in Zeiten des Wandels bewahrt, was einem lieb ist. Das packt Assayas in spritzige, sehr pointierte Dialoge, die „Zwischen den Zeilen“ auch sehr humorvoll werden lassen.

Webseite: www.ZwischenDenZeilen-Film.de

Doubles vies
Frankreich 2018
Regie + Drehbuch: Olivier Assayas
Darsteller: Juliette Binoche, Guillaume Canet, Vincent Macaigne, Nora Hamzawi
Länge: 107 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 6. Juni 2019

FILMKRITIK:

„Unsere Welt verändert sich fortwährend“, erklärt Olivier Assayas. „So ist es schon immer gewesen. Die Herausforderung dabei besteht in unserer Fähigkeit, diesen beständigen Wandel mit all seinen Strömungen im Auge zu behalten und zu verstehen, was wirklich auf dem Spiel steht, wenn wir uns anpassen – oder das eben nicht tun.“
 
Mit dieser Erkenntnis müssen sich auch die Protagonisten in „Zwischen den Zeilen“ auseinandersetzen. Leonard (Vincent Macaigne) ist ein Autor, dessen Romane man als Auto-Fiktion beschreiben könnte, weil er immer sein Leben und seine Liebschaften nimmt, die er in den Mittelpunkt rückt, aber auch reichlich zynisch damit abrechnet. Seinem Verleger Alain (Guillaume Canet) gefällt das mittlerweile nicht mehr, weswegen er Leonards neues Buch ablehnt. Alains Frau, die Schauspielerin Selena (Juliette Binoche), ist hingegen aus persönlichen Gründne von dem Buch angetan, während Leonards Frau Valerie (Nora Hamzawi) sich politisch engagiert, aber immer anderer Meinung als ihr Ehemann ist. Während die persönlichen Verstrickungen immer mehr überhandnehmen, wird fleißig über den kulturellen und digitalen Wandel diskutiert.
 
Assayas fühlte sich auch von Eric Rohmers „Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek“ aus dem Jahr 1993 inspiriert, der im Kern eine Debatte über die damalige französische Gesellschaft darstellt. Dem folgt der Autor und Regisseur nun mit seiner ganz eigenen Debatte, die zuerst sachlich um die Frage kreist, wie der digitale Wandel jeden einzelnen trifft, dann aber zusehends persönlicher wird. Es ist ein schleichender Prozess in einem klar strukturierten Film, der einem Theaterstück gleich eine dialoglastige Szene an die andere reiht und sauber voneinander abgrenzt. Rein filmisch gibt es hier nicht viel zu entdecken, in erster Linie ist „Zwischen den Zeilen“ großes Schauspielkino, das mit seinen eleganten Dialogen, aber auch der teils sehr trockenen Darbietung derselben punktet.
 
Vincent Macaigne, der weltfremd mit treudoofem Dackelblick allen Entwicklungen begegnet, ist grandios, das übrige Ensemble aber nicht minder hochwertig. Sie alle gehen in Dialogen auf, die den digitalen Wandel weder verteufeln noch verherrlichen, sondern vielmehr versuchen, zu erörtern, wie dieser sich ganz privat auf jeden Einzelnen auswirkt. Weil man irgendwann das Alter erreicht, in dem das Vergangene heimelig erscheint, jede Veränderung aber Angst macht. Denn Veränderungen muss man sich anpassen, oder man wird auf dem Weg in die Zukunft zurückgelassen.
 
Der Film konzentriert sich auf die Digitalisierung als Sinnbild, das Thema geht aber weit darüber hinaus und gilt in praktisch allen Branchen, aber auch für das Leben selbst, und somit auch für Olivier Assayas. Aber solange er noch immer kleine, intelligente Filme wie diesen machen kann, muss zumindest er sich vor der Zukunft nicht fürchten.
 
Peter Osteried