Alles fuer meinen Vater

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Die Geschichte eines palästinensischen Selbstmordattentäters als Tragikomödie anzulegen  - darauf muss man erst mal kommen. Das Thema erscheint viel zu ernst für Kapriolen zu sein. Doch „Alles für meinen Vater“ belehrt einen eines Besseren. Ein Attentäter muss mit seinem defekten Sprenggürtel zwei Tage in Tel Aviv ausharren und lernt notgedrungen den Feind kennen. Diese Slapstick-Konstellation macht die Stärke des Films aus, denn in den alltäglichen, grotesken und auch anrührenden Begegnungen bekommen Täter und Opfer ein Gesicht und eine Geschichte  – was den Irrsinn des Einsatzes menschlicher Waffen umso deutlicher zu Tage treten lässt.

Webseite: www.allesfuermeinenvater.de

Israel/Deutschland 2009
Regie: Dror Zahavi
Buch: Ido Dror, Yonatan Dror
Darsteller: Shredi Jabarin, Hili Yalon, Shlomo Vishinski, Rozina Kambus
Länge: 96 Minuten
Verleih: Kinowelt
Kinostart: 22. Januar 2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Ein Märtyrer begibt sich auf seinen letzten Weg. Der Palästinenser Tarek (Shredy Jabarin) macht sein Testament, verabschiedet sich von seinen ahnungslosen Eltern und setzt sich zu seinen Führungsleuten ins Auto, die ihn über die Grenze fahren. Man habe keine Luftwaffe, sagt einer von ihnen, als sich Tarek den Sprengstoffgürtel umlegt. „Du bist unser Flugzeug.“ Solcher Aufmunterung bedarf es aber nicht. Der junge Mann ist fest entschlossen, auf dem Carmel-Markt in Tel Aviv den Sprengstoff zu zünden, denn er muss die Ehre seines Vaters wiederherstellen, der fälschlicherweise verdächtigt wird, ein Kollaborateur zu sein. So weit, so ernst. Als Tarek sich in die Luft jagen will, versagt jedoch die Technik und die Situation kippt ins Groteske. Der verhinderte Märtyrer braucht einen neuen Schalter und stößt in einer Seitengasse auf den alten Elektronik-Händler Katz (Shlomo Vishinski), der ihm behilflich ist. Allerdings dauert es wegen des anstehenden Sabbats zwei Tage, bis das Ersatzteil geliefert ist. Tarek muss möglichst unauffällig bleiben und fängt deshalb an, das Dach im Hause Katz zu reparieren. 

Ein kleiner Fehler im System und schon gerät alles aus den Fugen. Der Feind muss um Hilfe gebeten werden, und der wiederum hilft unwissentlich seinem Feind. Von einer Sekunde auf die andere wird aus der abstrakten Kategorie Feind ein Gewusel aus neuen Bekannten, recht sympathischen sogar. Da sind Katz’ Nachbarn, da ist die hübsche junge Kioskbesitzerin und da ist der etwas trottelige Hilfspolizist. Er allein misstraut dem Araber, was den anderen sichtlich peinlich ist, da Tarek doch so ein freundlicher, höflicher Mann ist. Der Zuschauer fühlt sich plötzlich wie in einer Verwechslungskomödie, was Regisseur Zvor Zahavi so erklärt: „Es ist der typisch israelische Humor, mit dem wir auf diese sehr gefährliche Situation antworten, ein Lachen inmitten der Angst.“

 Zahavi verliert jedoch den Ernst nicht aus den Augen. Sein Film ist auch ein Porträt der auseinander driftenden israelischen Gesellschaft. Bei den Alten sind die Vertreibung und der Holocaust das beherrschende Thema. Der gegenwärtige Krieg und die Opfer, die er fordert, drücken die Menschen nieder. Ideologisch ist das Land gespalten. Die Kioskbesitzerin Keren (Hili Yalon) gehört der liberalen und religionsfernen jungen Generation an. Sie wird bedroht von ultraorthodoxen Landsleuten, denen ihr Lebensstil nicht passt. Tarek wird in das Leben seiner Gegner hineingezogen und fühlt sich womöglich an die eigene Gesellschaft erinnert, in der es Fanatiker, aber eben auch Gemäßigte gibt. Der Attentäter, der wegen der Abschottung seines Landes durch die Israelis um eine Fußballer-Karriere gebracht wurde, entdeckt Gemeinsamkeiten und entwickelt sogar heftige Gefühle für Keren.

„Alles für meinen Vater“ ist eine Aufforderung zur Völkerverständigung. Nur wenn man miteinander redet und sich kennen lernt, kann man abstrakte Feindbilder aufbrechen. Der Film zeigt, wie’s geht. Aber er zeigt auch, dass die Konfliktparteien weit davon entfernt sind, sich darauf einzulassen. Die Zwänge auf beiden Seiten sind groß, und so kommt in „Alles für meinen Vater“ letztlich die kalte Mechanik der Gewalt in Gang. 

Volker Mazassek

Israel/Palästina. Der junge Palästinenser Tarek war einst ein guter Fußballer. Mit Hilfe seines Vaters wurde er jeden Tag von der Westbank nach Tel Aviv zum Training oder zu einem Spiel gefahren. Dann kam die Intifada, die Mauer zwischen Israel und Palästina. Um die „Grenze“ weiterhin überschreiten zu können, musste Tareks Vater den israelischen Sicherheitsbehörden Nachrichten verraten. Mit der Zeit wurde das bekannt, der Vater fortan geächtet. Um etwas gutzumachen, entschloss sich Tarek, sich als Selbstmordattentäter in Tel Aviv in die Luft zu sprengen und möglichst viele Juden mit in den Tod zu nehmen.

Vom Tanzim (militärischer Arm der Hamas) wird er abkommandiert. Doch der Zünder des Sprengsatzes versagt. Er muss repariert oder ersetzt werden. Der jüdische Elektriker Katz wird sich darum kümmern. Aber jetzt ist erst einmal Sabbat.

Tarek hat Zeit, den „Feind“ kennenzulernen: Katz, dessen aus Rumänien zugewanderte Frau Zipora, Rehavia, der seinen Freund Katz für meschugge hält genauso wie umgekehrt, und vor allem die junge Keren, eine Kioskbesitzerin, die ihrer frommen und streng orthodoxen Familie den Rücken kehren musste. Sie wird von ihrem Vater gemieden, weil sie unverheiratet im 6. Monat ein Kind verlor und sich wie eine modische junge Frau kleidet.

Tarek hilft Keren, als sie von strenggläubigen Jugendlichen belangt und belästigt wird. Doch auch Tarek hat mehrere äußerst heikle Situationen zu überstehen, denn in Tel Aviv sind die Sicherheitskräfte aufmerksam geworden und haben eine Terrorwarnung ausgesprochen.

Der junge Palästinenser ist längst in Gewissensnöten. Die Menschen, denen er hier begegnet ist und die alle ihr Schicksal und ihre Schwierigkeiten haben – Katz hat in der israelischen Armee seinen Sohn verloren, Zipora verlässt das
Haus nicht mehr, Keren ist wie gesagt ausgestoßen -, das sollen Feinde sein? Die Liebe zwischen Tarek und Keren ist auch nicht mehr weit.

Katz beginnt zu ahnen, was mit Tarek in Wirklichkeit los ist. Er versucht das Schlimmste zu verhindern. Doch die Tragik nimmt ihren Lauf.

Um es gleich vorwegzunehmen: ein wunderschöner Film. Er zeigt anhand eines glänzend geschriebenen Drehbuches, dem der Humor übrigens nicht fehlt, und einer ebensolchen Regie, wie sehr die verhängnisvolle politische Situation im Nahen Osten jeden einzelnen treffen kann. Die Menschen sind viel weniger unterschiedlich, sind sich viel näher als die zahlreichen Kontrollstellen, die Mauer, die Fanatiker auf beiden Seiten, die ständig wiederkehrende Schließung der Grenze und die Attentate den Anschein erwecken.

Ein eindrucksvoller, ja zu Herzen gehender Film. Er wird die Situation nicht ändern können, doch zu einem immer besseren Bewusstsein kann er sehr wohl beitragen. Wenn nur die Politik nicht wäre, möchte man geradezu sagen.

Großes Glück hatte Regisseur Dror Zahavi beim Casting. Den Zwiespalt, in dem er lebt, bringt Shredy Jabarin als Tarek sehr gut zum Ausdruck. Genauso überzeugend die anmutige Hili Yalon als Keren. Bestens auch Shlomo Vishinsky als Katz, Rozina Kambus als Zipora und Haim Banai als Rehavia.

Thomas Engel