Bad Luck Banging or Loony Porn

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Seit Jahren ist Radu Jude einer der interessantesten Vertreter des rumänischen Kinos, nun wurde sein Film „Bad Luck Banging or Loony Porn“ mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet. Ein verdienter Sieg in einem starken Wettbewerb, denn Judes Satire über die Abgründe der Sozialen Medien, Cancel Culture und Corona trifft mit Witz und pointierter Beobachtung den Nerv der Zeit.

Website: www.neuevisionen.de

Rumänien 2021
Regie & Buch: Radu Jude
Darsteller: Katia Pascariu, Claudia Ieremia, Olimpia Mălai, Nicodim Ungureanu, Alexandru Potocean, Andi Vasluianu
Länge: 106 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 8.7.2021

FILMKRITIK:

So schnell die bloße Handlung von Radu Judes „Bad Luck Banging or Loony Porn“ (Pech beim Vögeln oder Bekloppten-Porno) erzählt ist, so vielschichtig erweisen sich Erzählform, Metaphorik, Subtexte. Ein Prolog eröffnet den Film, in dem ein paar beim Sex zu sehen ist. Wie wir bald erfahren, handelt es sich dabei um die Lehrerin Emi (Katia Pascariu), die zusammen mit ihrem Mann – ganz modernes Paar – einen Privatporno dreht. Dummerweise landet das Video im Internet und stößt den Eltern von Emis Schülern sauer auf. Eine Konferenz wird einberufen, auf der das Schicksal der Lehrerin verhandelt wird.

In drei Kapitel ist der Film eingeteilt, die sicherlich nicht zufällig an ein Triptychon erinnern, denn die freundlich gesagt unglückliche Rolle, die die orthodoxe Kirche im Laufe der jüngeren rumänischen Geschichte gespielt hat, schwingt immer wieder mit. Während der dritte Teil die Konferenz, das Tribunal, den Prozess gegen die Lehrerin schildert, sie mit Eltern konfrontiert, die oft heuchlerisch und selbstgerecht agieren, bald auch kaum verhohlen antisemitisch und homophob, ist im ersten Teil Emi zu sehen, wie sie durch Bukarest geht. Es ist der Sommer 2020, fast alle Menschen tragen Masken, Corona prägt den Alltag, belastet die Psyche. Vielleicht deswegen sind die Nerven gereizt, immer wieder kommt es zwischen Passanten zu Streits, kocht die Aggressivität hoch, werden sich immer wieder auch sexualisierte Beschimpfungen an den Kopf geworfen.

Allein auf die Pandemie sollte man dieses Verhalten jedoch nicht schieben, vielmehr scheint Jude hier ein Bild einer modernen Gesellschaft zu zeichnen, die von zunehmendem Egoismus geprägt ist, in der Rücksichtsnahme ein Fremdwort ist, in der das gesellschaftliche Miteinander zunehmend verloren geht. Das Sexvideo der Lehrerin ist insofern nicht wirklich Thema des Films, sondern Auslöser für extreme Verhaltensweisen von Menschen der bürgerlichen Klasse. Dass die betreffende Schule ausgerechnet Ospedale Degli Innocenti - Hospital der unschuldigen Kinder heißt und damit auf einen Bau des florentinischen Architekten Filippo Brunelleschi verweist, der als Beginn der Renaissance gilt, ist da nur zusätzliche Ironie.

Das Zentrum des Films – sozusagen der Mittelteil des Triptychon – ist schließlich eine rund 25minütige Sequenz, in der in einer Art filmischem Lexikon 70 Einträge von A wie Armee bis Z wie Zen abgehandelt werden. Dazwischen finden sich Begriffe wie Bibliothek und Blondinenwitz, Metapher und Mathematik, Möse und Schwanz, Prostitution und Respekt. Aus historischen Aufnahmen, Handybildern und kurzen Videoclips bestehen diese Einträge, die auf meist satirische, auch zynische Weise ein Bild der Gegenwart zeichnen, nicht nur, aber auch der rumänischen Gesellschaft. Egal ob vom Nationaldichter Mihai Eminescu die Rede ist oder von der Statistik, dass 55% der Bevölkerung Vergewaltigung in bestimmten Fällen für akzeptabel halten, egal ob vom Versagen der Kirche die Rede ist, die im Revolutionsjahr 1989 ihre Türen für Verfolgte des Regimes geschlossen hielt oder von einem weihnachtlichen Massaker während des Zweiten Weltkriegs, bei dem 3000 Juden und Roma möglichst schnell erschossen wurden, damit die Truppen die Geburt Jesus feiern konnten: Radu Jude mutet seinen Landsleuten – so sie diesen Film überhaupt zu sehen bekommen – einiges zu.

Dass Bild, dass er von seiner Heimat zeichnet, ist bitterböse, doch allzu sehr sollte man sich als Zuschauer aus Deutschland nicht zurücklehnen: Die Details mögen anders aussehen, die Erinnerungen sich unterscheiden, im Kern beschreibt „Bad Luck Banging Loony Porn“ nicht speziell die rumänische Gesellschaft, sondern jede moderne, von Sozialen Medien geprägte Gesellschaft, in der immer häufiger jeder Gemeinsinn verloren gegangen ist, Egozentrik und Oberflächlichkeit vorherrschen. Auch wenn der Film selbst am Ende behauptet, ein Witz zu sein, ist er doch alles andere als das.

Michael Meyns

 

Michael Meyns