Brinkmanns Zorn

„Brinkmanns Zorn“ ist ein Ereignis. Auf der Grundlage von Tonbandaufnahmen Rolf Dieter Brinkmanns erweckt Harald Bergmann in einem formal hoch interessanten Experiment den legendären Dichter der Beat-Generation wieder zum Leben. Bergmann rekonstruiert zu den Tondokumenten die Bilderwelten, in denen sich der Schriftsteller bewegte, während er seine permanenten Weltbeschimpfungen aufzeichnete. Das Zusammenspiel von Original-Stimme und präziser schauspielerischer Darstellung geht weit über das hinaus, was man als literarisches Filmporträt kennt.

Webseite: www.brinkmannszorn.de

Deutschland 2006
Regie und Buch: Harald Bergmann
Darsteller: Eckhard Rhode, Alexandra Finder
105 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart 11. Januar 2007


 

Über den Film

Originaltitel

Brinkmanns Zorn

Deutscher Titel

Brinkmanns Zorn

Produktionsland

DEU

Filmdauer

110 min

Produktionsjahr

2006

Produzent

Schmidt-Reichart, Margot

Regisseur

Bergmann, Harald

Verleih

Starttermin

10.07.2007

 

PRESSESTIMMEN:






FILMKRITIK:


Rolf Dieter Brinkmann war Ende der sechziger Jahre so etwas wie der literarische Arm der Studentenbewegung. Mit seinen radikalen, experimentellen Texten und Übersetzungen amerikanischer Underground-Literatur zählte er zu den Vorreitern der Beat Generation. Doch Anfang der siebziger Jahre gab es einen Bruch. Der frühe Pop-Literat Brinkmann verlor das Vertrauen in geschriebene Wörter. Er wendete sich abrupt von Freunden und literarischen Szenen ab und suchte nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. 1973 lieh er sich beim WDR ein Tonbandgerät und spaziert damit monatelang durch Köln. Zu diesem Zeitpunkt setzt der Film ein. Die Aufzeichnungen sind erhalten geblieben, Brinkmanns Frau Maleen stellte sie dem Filmemacher zur Verfügung.

Das Mikrofon wird Brinkmanns Instrument der Welterkundung. Er zieht durch die Straßen und kommentiert, was er sieht. Es sind oft Alltagsszenen, die er beschreibt („ein kleiner, mürrischer Park, den ich durchquere“) oder kleine inszenierte Geschichten. So pinkelt er gegen eine Mauer und registriert die Reaktionen seiner Umwelt („Ein Muff-Gesicht schlurft vorbei“, „ein Glotz-Gesicht macht eine blöde Bemerkung“). Das mag heute seltsam wirken, aber damals war es neu, das Banale zum Gegenstand sprachlich-literarischer Betrachtungen zu machen. Brinkmanns Beobachtungen von Häusern, Menschen, Tieren und Fahrzeugen münden stets in großer Ablehnung und Verachtung. Ein angry young man schreit hier seinen Hass auf die Welt heraus, und wenn man ein Beispiel für Adornos Diktum sucht, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, dann hat man es hier vor Augen.

Denn „Brinkmanns Zorn“ ist kein bebildertes Hörspiel, sondern durchaus visueller Natur. Die Schauspieler Eckhard Rohde als Brinkmann und Alexandra Finder als seine Frau Maleen haben sich dermaßen gut eingehört in die Tonbandaufnahmen, dass sie jeden Satz, jeden Atemzug und jedes Hüsteln punktgenau nachahmen können. Und sie stellen unaufdringlich nach, wie es wohl gewesen ist, als Brinkmann Töne sammelte und in der gemeinsamen Wohnung seiner Frau Löcher in den Bauch fragte – zum Beispiel über die akkurate Herstellung eines Kuchenteigs. So gehen Bild und Ton eine Verbindung ein, die eine ganz eigene Wahrhaftigkeit erzeugt.

Regisseur Bergmann hat darüber hinaus akribische Detektivarbeit geleistet. Mit den spärlichen Angaben des zornigen Poeten, Interviews mit Freunden und umfangreichen eigenen Recherchen rekonstruierte er Orte und Situationen, in denen die Aufnahmen entstanden. So sieht Brinkmanns Wohnung im Film so aus, wie sie einst eingerichtet war, und wenn er eine Texaco-Tankstelle niedermacht, dann sieht man auch eine Texaco-Tankstelle, die es ja gar nicht mehr gibt.

Die Geschichte ist 30 Jahre alt und es stellt sich die Frage, ob Brinkmanns Wirken nur noch von historischem Interesse ist. Doch der Film zeigt, dass die große Verweigerung des Schriftstellers durchaus Fernwirkungen in die Gegenwart hat. Man denke nur an das unlängst erschienene Album „Die Tiere sind unruhig“ der Hamburger Band „Kante“, dessen Titel auf einen Gedichtanfang Brinkmanns zurückgeht oder die seltsam verschrobenen Texte des Sängers Peter Licht. Wenn Brinkmann den „miesen gelben, schmutzigen Kölner Kackhimmel“ anschreit und Licht die Sonne als „gelbe Sau“ verunglimpft, dann gibt es wohl Parallelen im Denken und Reden.

Brinkmann starb mit 35 Jahren 1975 in Cambridge, als er vor ein Auto lief. Er kam mit dem Linksverkehr in England nicht klar. Autos waren ihm ohnehin ein Gräuel, was man im Film schmerzhaft wahrnimmt. Wenn Brinkmann wüsste, welcher Verkehr heute durch Köln tobt, er wäre wohl sprachlos.

Volker Mazassek

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