Der kleine Medicus

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Die Kinderbuchadaption „Der kleine Medicus“ nimmt sein Publikum mit auf eine spannende Reise durch den menschlichen Körper, schafft es aber leider nur unzureichend, diese in eine ebenso mitreißende Rahmenhandlung zu verpacken.

Webseite: www.der-kleine-medicus-film.de

Deutschland/2014
Regie: Peter Claridge
Drehbuch: Elfie Donnelly, Paul Arató
Länge:  78 Minuten
Verleih: Senator
Kinostart: 30. Oktober 2014
 

FILMKRITIK:

Dass der menschliche Körper ein aufregender Abenteuerschauplatz sein kann, zeigte schon Joe Dantes „Die Reise ins ich“ oder die allseits beliebte 80er Jahre TV Serie „Es war einmal das Leben“. Und so verwundert es auch nicht, dass sich Dr. Dietrich Gröhnemeyers Kinderbuchreihe „Der kleine Medicus“ so großer Beliebtheit erfreut. Dafür ist ihre Leinwandadaption umso wunderlicher.

Die Filmhandlung selbst erinnert an „Die Reise ins Ich“. Der fiese Professor Schlotter (Dr. Michael Nowka) injiziert Nanos Opa einen bösartigen Miniroboter, mit dem er den alten Mann fortan fernsteuert und dazu bringt, das Labor seiner Konkurrenten Dr. X (Hans-Jürgen Dittberner) und Micro Minitec (Christiane Paul) zu vernichten. Die wiederum sehen keine andere Chance, als ebenfalls ein Mini-Raumschiff in den Körper des Großvaters zu injizieren. Und weil Hasen-Bodynaut Rappel (Malte Arkona) mit einer verstauchten Pfote ausfällt, müssen Nano (Sebastian Fitzner) und seine Freundin Lilly (Annette Potempa) einspringen.

Die deutlich an Joe Dante angelehnte, wenn auch selbstredend sehr kindgerecht inszenierte Verfolgungsjagd durch den menschlichen Körper gehört denn auch zu den stärksten Momenten des Films, macht insgesamt jedoch nur einen bedauerlich kleinen Teil der Handlung aus. Zudem brausen Nano und Lilly mit einem viel zu großen Tempo durch die Organe, so dass der Zuschauer nur wenig über ihre einzelnen Stationen erfahren kann. Der Lerneffekt hält sich somit bedauerlich in Grenzen. 
Auch fehlt der Computeranimation jeglicher Charme. Der Versuch, bei der optischen Gestaltung der menschlichen Charaktere und ihrer Umwelt möglichst nah an der Realität zu bleiben, kollidiert auf irritierende Weise mit dem artifiziellen Habitus der Figuren. Held Nano und seine Mitstreiter wirken wie Avatare aus einem billig produzierten Computerspiel. Die Mimik ist extrem reduziert, spiegelt nur im Ansatz die verbal artikulierten Emotionen wieder und auch die Bewegungsabläufe der Figuren wirken unnatürlich. Ein ähnlicher Kontrast entsteht durch das Aufeinandertreffen der Wissenschaftsthematik mit dem sprechenden Hasen Rappel. Weshalb bedient sich ein Film, der seinem Kinderpublikum die Vorgänge im menschlichen Körper so realitätsgetreu wie möglich vermitteln möchte, einer Märchenfigur?

Vielleicht ist Rappel der personifizierte Versuch, dem Film etwas humoristischen Schwung zu verleihen. Doch dieses Unternehmen scheitert. Weder das rosa Kaninchen (weshalb eigentlich rosa?), noch die übrigen Charaktere wollen so recht zum Lachen verleiten. Nach dem Motto „knapp daneben ist auch vorbei“ bleiben viele Gags auf unangenehm sichtbare Weise in der Luft hängen.

Die Charakterisierungen sind überaus gestrig. Der Bösewicht bleibt vollkommen eindimensional und entbehrt jenseits seiner lediglich behaupteten intrinsischen Bösartigkeit jeglicher Motivation. Erschreckend ist auch der Umgang mit Geschlechterrollen. Zwar tritt mit Micro Minitec eine Wissenschaftlerin auf, doch ist diese als ehemalige Assistentin Schlotters und aktuelle Mitarbeiterin von Dr. X kaum mehr als Dekoration. Nanos Schwester Marie und seine Freundin Lilly zeichnen sich durch Ahnungslosigkeit und Desinteresse aus. Ihr Leben dreht sich ausschließlich um die Frage nach der richtigen Kleiderauswahl. Derartige Rollenbilder für Mädchen sind seit mindestens 50 Jahren überholt... oder sollten es zumindest sein.

So ist „Der kleine Medicus“ für sich allein genommen als Film auf ganzer Linie eine Enttäuschung. Mit Sicherheit werden junge Fans der Bücher sich über das Wiedersehen mit den bekannten Figuren trotzdem freuen. Den erwachsenen Begleitpersonen jedoch wird absolut nichts geboten.
 
Sophie Charlotte Rieger