Der Mann, der seine Haut verkaufte

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Keine Frage: Ein Film über die Kunstwelt sollte selbst künstlerisch daherkommen. Aber dabei belässt es die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania nicht. Ihre ästhetische Meisterschaft reflektiert ein moralisches Dilemma, das keine einfachen Lösungen erlaubt. Wie weit darf ein Mensch in Not gehen? Und was ist einer avantgardistischen Kunst erlaubt, die das Flüchtlingselend kritisieren möchte, aber sich vielleicht doch nur um sich selbst dreht? In ihrem zweiten langen Spielfilm erkundet die Filmemacherin solche Fragen in bildgewaltigen Sequenzen, die einen eigenen Sog entfalten.

Website: www.eksystent.com/der-mann-der-seine-haut-verkaufte.html

Tunesien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Schweden 2020
Originaltitel: The Man who sold his skin
Regie und Drehbuch: Kaouther Ben Hania
Darsteller: Yahya Mahayni, Dea Liane, Koen De Bouw, Monica Bellucci
Länge: 104 Minuten
Verleih: Eksystent
Kinostart: n.n.

FILMKRITIK:

Ein Zug in Syrien. Sam (Yahya Mahayni) legt den Arm um seine Geliebte Abeer (Dea Liane). Nein, doch nicht in der Öffentlichkeit, protestiert die junge Frau. Sie kommt aus besserem Haus, soll einen Diplomaten heiraten und nach Brüssel gehen. Ihr Geliebter dagegen ist ein armer Schlucker, ein Alptraum für seine Möchtegern-Schwiegereltern. Sam reagiert sauer, setzt sich in eine andere Sitzreihe. Die Freundin beruhigt ihn mit lang ersehnten Worten: „Ich liebe dich“. Da kann der junge Mann nicht an sich halten, posaunt seine Freude laut hinaus, lässt das ganze Abteil daran teilhaben. Im Überschwang rutscht ihm dabei auch ein verhängnisvoller Satz heraus: „Es lebe die Revolution“. Das bedeutet im Jahr 2011, zu Beginn des Bürgerkriegs: Gefängnis, Flucht in den Libanon und wegen eines Reiseverbots das drohende Aus für die Liebe seines Lebens.

Per Zufall trifft Sam im Exil auf den Starkünstler Jeffrey (Koen De Bouw), einen stets schwarz gekleideten Exzentriker mit Sieben-Tage-Bart und dunkel geschminkten Augen. Der Konzept-Artist ist ein Provokateur, immer auf der Suche nach der nächsten Grenzüberschreitung. Sein Angebot: Den Rücken von Sam als Kunstwerk zu tätowieren, das jedes Jahr in verschiedenen Ausstellungen gezeigt werden darf – und sogar verkauft werden kann. Als Gegenleistung bekommt Sam eine Million Euro und ein Schengen Visum. Der noch immer schwer verliebte Sam willigt ein und reist nach Brüssel, wo Abeer inzwischen in eine Vernunftheirat eingewilligt hat. Ironischerweise besteht das Kunstwerk in genau dem Visum, das Sam die Freiheit zurückgeben soll. Versklavung zu einem guten Zweck sozusagen. Und Kritik an einer Globalisierung, die Geld und Waren überall hin reisen lässt, Menschen aber nicht.

Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania lässt von der ersten Minute an keinen Zweifel, welchen Blick sie auf die avantgardistische Kunstwelt wirft: einen mindestens ironischen, oft satirischen und manchmal auch sarkastischen. Kamerawinkel, Kostüme und Raumerkundungen überhöhen das Getue auf Vernissagen, den Starkult, die Posen vermeintlicher Kenner und die dezente Unterwürfigkeit herausgeputzter Assistentinnen in eine entlarvende Künstlichkeit. Das hat der Film mit der ebenso köstlichen Satire „The Square“ (2017) von Ruben Östland gemein. Darüber hinaus nutzt die Regisseurin die kunstvollen Spiegelungen, ausgefeilten Kompositionen und subtilen Irritationen, um eine Identitätssuche zu illustrieren. Sam hat im Liebesüberschwang einen Fehler gemacht. Er wird Zeit brauchen, um zu sich selbst zurückzufinden.

Bewundernswert ist auch die erzählerische Ökonomie, mit der das syrische Drama seinen Platz in der Kunstsatire behauptet. Sam skypt regelmäßig mit der Familie. Was er da zu hören und sehen bekommt, sind beschwichtigende Berichte, die das Ausmaß des Elends abmildern wollen. Aber in einer Szene bricht die Realität in voller Wucht durch. Jemand stört in der syrischen Wohnung Sams Gespräch aus Brüssel mit der Mutter. Kurz darauf steht der Laptop ein Stück weiter weg, gibt die Sicht auf die Beinstümpfe der Mutter frei. „Wie lange ist das so“, fragt der entsetzte Sohn. Seit einem Jahr, eine einstürzende Wand hat ihr die Beine zerquetscht.

Aufgrund der ironischen Bildsprache könnte man glauben, die Regisseurin urteile moralisch eindimensional. Aber dem ist nicht so. „Nicht ich bin zynisch“, legt sie dem Provokateur Jeffrey in den Mund. Die Welt sei zynisch, wenn sie illegalen Organhandel, Zwangsprostitution und Leihmutterschaft zulasse. Seine Aufgabe sei nur, unangenehme Wahrheiten in drastischer Form auszusprechen. Außerdem: Wer wollte Sam, dem Geflüchteten, das Recht absprechen, alles zu tun, um seine Geliebte wiederzusehen? Der Film hält solche Überlegungen offen, viele Antworten sind möglich. Schließlich ist die Fragestellung nicht banal. Der Geschichte liegen reale Fakten zugrunde.

Peter Gutting