Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation

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Wie geht es dem Patienten Deutschland aktuell? 13 bekannte deutsche Filmemacher haben sich diese Frage gestellt und 13 ganz individuelle Kurzfilmantworten darauf gegeben. Anzuschauen ist das schön, die Qualität stimmt - wenngleich die Kritiken nach der Berlinale-Aufführungen sehr mäßig waren. Inhaltlich driften die Beiträge stark auseinander – zu vage gehalten ist dafür die Prämisse von der derzeitigen „Lage der Nation“. In Gesprächen nach dem Film wird man sicher noch viele weitere Einschätzungen finden, wie es gesellschaftlich und politisch gerade um Deutschland steht. Deshalb: anschauen und die Diskussion beginnen.

Webseite: www.deutschland09-der-film.de

Deutschland 2009
Regie: Fatih Akin, Wolfgang Becker, Sylke Enders, Dominik Graf, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Angela Schanelec, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Tom Tykwer, Hans Weingartner
Darsteller: Denis Moschitto, Karl Markovics, Anneke Kim Sarnau, Sandra Hüller, Jasmin Tabatabai, Josef Bierbichler, Benno Fürmann, Christoph Jacobi u.v.a.
153 Minuten
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 26.3.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK: 

Auf die jüngere deutsche Geschichte ist (in den Feuilletons) zuletzt aus den unterschiedlichsten Anlässen geblickt worden. Vor über 60 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, begann 1968 die Zeit der studentischen Unruhen und 1977 der „Deutsche Herbst“. Vor 20 Jahren wiederum fiel die deutsch-deutsche Mauer. Und heute, nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, steht Deutschland am Beginn einer noch nicht einschätzbaren Zeit. Von rosigen Aussichten jedenfalls ist dabei ganz gewiss nicht die Rede. Berücksichtigt man diese für gesellschaftliche Entwicklungen und politische Veränderungen maßgeblichen Ereignisse, dann ist die Aufgabenstellung, der sich 13 deutsche Regisseure für „Deutschland 09“ verschrieben haben, mit „13 Filmen zur Lage der Nation“ absolut breit gefasst. Weitaus breiter auf alle Fälle, als 1977/78, als sich schon einmal ein erlesener Kreis deutscher Regisseure (u.a. Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff) der Aufgabe stellte, mit „Deutschland im Herbst“ Stellung zu nehmen. Der Anlass damals war jedoch konkreter, ging es doch um eine Reaktion auf die Ereignisse in der Folge der Entführung von Hans-Martin Schleyer. Widmen wir uns also „Deutschland 09“.
Ein Omnibusfilm also. Angela Schanelec läßt ihn zunächst in einen grauen deutschen Morgen fahren. Leere Krankenhausflure, eine Autobahn in der Ferne, ein telefonierendes Kind - und schließlich ein Zitat von Rolf Dieter Brinkmann, in dem es trotz aller Unbehaglichkeiten ums Weitermachen geht. An der nächsten Haltestelle steigt Dani Levy („Alles auf Zucker“) zu, macht auf Komödie mit deutsch-jüdischen Klischees, bekommt von seinem Psychiater ein Wundermittel gegen Schwarzseherei verschrieben, was die Menschen um ihn herum zu freundlichen Fratzenträgern macht und seinen Sohn Joshua – wie Francois Ozon in seinem surrealen Berlinale-Beitrag „Ricky“ – gut gelaunt durch die Lüfte fliegen lässt wie Biene Maja-Kumpel Willi.

Nicolette Krebitz inszeniert ein Zusammentreffen von Ulrike Meinhof und Susan Sontag, Wolfgang Becker („Goodbye Lenin“) diagnostiziert bei seinen Patienten in der nach Vorhölle aussehenden Deutschlandklinik Verdacht auf Sozialinfarkt, operiert Lohnnebenhöhlen, versucht es mit Subventionsadrenalin und lässt wiederholt nach Dr. Katelbach rufen. Weniger anarchisch, dafür gewitzt rebellisch gibt sich Hans Steinbichler („Winterreise“): er lässt Josef Bierbichler in der Rolle eines Spediteurs sich an seinem Morgenkaffee verschlucken, als der eines Morgens in eine im neuen Layout vor ihm liegende FAZ ohne Frakturschrift blickt. Flugs ruft der Fuhrunternehmer seine Flotte an, lässt alle Ausgaben der Zeitung aufkaufen und spendiert dem Verlag ein Protestfeuer.

Was sonst noch: es gibt Kritik am Überwachungsstaat (Hans Weingartner) und an monotonen Arbeitstagen (Tom Tykwer). Romuald Karmakar interviewt einen iranischen Animierbarbesitzer, Dominik Graf sinniert beim Anblick von zum Abbruch bestimmter Nachkriegshäuser über deren Zeugenschaft deutscher Vergangenheit, und Christoph Hochhäusler beamt sich in einem ähnlich abstrakten Beitrag gar in eine Mondkolonie in ein Ministerium für Rekonstruktion. Isabelle Stever wiederum erteilt einer multikulturellen Grundschulklasse Anschauungsunterricht die Grundlagen demokratische Verhandelns und gewaltfreier Kommunikation, Sylke Enders („Kroko", "Mondkalb“) gibt Einblicke in eine Suppenküche für Kinder mit gesundem Essen und falschen Verdachtsmomenten. Von Fatih Akin schließlich hätte man sich mehr gewünscht als nur die Wiedergabe eines nachgestellten Interviews mit dem Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz (gespielt von Denis Moschitto).

13 Regisseure also, und ebenso viele Ideen. Auf alle Fälle ist „Deutschland 09“ ein wunderbares Plädoyer für die Kunstform des Kurzfilms, der hierzulande immer noch viel zu wenig gesendet wird, geschweige denn in den Kinos einen festen Platz eingeräumt bekommt. Für die etablierten Regisseure mag es eine Fingerübung gewesen sein. Kurzweilig ist die Abfolge der handwerklich einwandfreien Kurzfilme auf jeden Fall. Inhaltlich werden sie sicherlich – die Geschmäcker sind ja verschieden – spalten. Gedrückte Stimmung hier, ausgelassener Karnevalsrausch da, ernsthaft, ironisch, rebellisch, globalisierungskritisch. Dann wieder sachlich kühl, augenzwinkernd, komödiantisch. Spannend ist die Vielfalt. Ein wenig verhält es sich mit dieser Filmrolle wie mit einem Topf voller Lose: ein paar Nieten sind immer dabei. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, wie er die einzelnen Episoden bewertet. Wirklich optimistisch allerdings ist keine von ihnen.

Thomas Volkmann

Eine gute Idee, 13 jüngere deutsche Filmemacher sich mit ihrem Land auseinandersetzen zu lassen. Natürlich gibt es da ebenso viele Betrachtungsweisen, wie das Land als solches vielfältig ist. Und so ist denn von der Realität und den Problemen über die Ironie und den Sarkasmus bis zur Wut und Empörung alles dabei.

Manches ist schwächer und banaler, manches ist überhöht und überspitzt, manches ist schmerzlich und schlimm.

Aber es ist eine brauchbare, wenn notwendigerweise auch selektive Sicht über Zustände in unserem Land, zum Teil ebenso tröstlich und hoffnungsvoll wie untragbar und tragisch.

Voller bösen Witzes Wolfgang Beckers „Krankes Haus“; dokumentarisch und tief blickend lassend Fatih Akins „Der Name Murat Kurnaz“; traurig Sylke Enders’ „Schieflage“; trostlos und vielsagend Dominik Grafs „Der Weg, den wir nicht zusammen gehen“; nostalgisch und futuristisch zugleich Christoph Hochhäuslers „Séance“; von teilweise Unappetitlichem erzählend Romuald Karmakars „Ramses“; imaginäre Revolutions- und Frauenrechts-Ideologie in Nicolette Krebitz’ „Die Unvollendete“; Märchenhaftes und Deutschtypisches in Dani Levis „Joshua“; gerechtfertigt und herrlich Aufmüpfiges in Hans Steinbichlers „Fraktur“; Morgendämmerung und Sinngedicht in Angela Schanelecs „Erster Tag“; beispielhafte Pädagogik in Isabelle Stevers „Eine demokratische Gesprächsrunde zu festgelegten Zeiten“; moderner Workaholic auf ziemlich verlorenem Posten in Tom Tykwers „Feierlich reist“; Bedrohung des Bürgers und Zusammenbruch des Datenschutzes in Hans Weingartners „Gefährder“.

Das Gesundheitswesen, Fehler der Politik, die Armut, die Abrisswut, die Halbwelt, die Stimmung der Bevölkerung, der Neonazismus, die Probleme der Migranten, die Aushöhlung der Bürgerrechte – alles kommt dran. 

Ein Sammelsurium, aber eines, das zum Nachdenken bringt, das in seiner Ironie unterhaltsam ist und das man als ziemlich guten Wurf betrachten kann.

Thomas Engel