Die Frau die sich traut

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Steffi Kühnert als Kanalschwimmerin ist die bisher schönste Überraschung dieses Kinoherbstes. In beeindruckenden Cinemascope-Bildern zeigt Marc Rensing eine entschlossene Frau mit einem großen Traum. Fernab deutscher Befindlichkeitsdramaturgie erzählt der Film mit beiläufigem Witz eine spannende und wunderbar herzerwärmende Geschichte.

Webseite: www.diefraudiesichtraut.x-verleih.de

Deutschland 2012
Regie: Marc Rensing
Drehbuch: Annette Friedmann & Marc Rensing
Darsteller: Steffi Kühnert, Jenny Schily, Christina Hecke, Steve Windolf, Lene Oderich
Bildgestaltung: Tom Fährmann
Länge: 98 Minuten
Verleih: X Verleih
Kinostart: 12. Dezember 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Beate ist 50 und hat noch Träume. Leider kommt sie nicht dazu, sie auszuleben, denn die Familie beansprucht ihre gesamte Energie. Vielleicht ist Beate auch selbst ein bisschen daran schuld, dass sie ihre eigenen Interessen immer zurückgestellt hat. Wenn sie wenigstens ein bisschen Anerkennung dafür erfahren könnte! Denn inzwischen begluckt Beate, die in einer Großwäscherei arbeitet, schon ihre Enkeltochter, damit Tochter Rike in Ruhe für ihre Prüfungen lernen kann, und Sohn Alex, der mit seiner schwangeren Freundin zu Hause wohnt, lässt sich ganz selbstverständlich von Muttern die Wäsche waschen und den Kühlschrank füllen.

Eine Krebsdiagnose macht aus der schafsgeduldigen Familienmutti Beate, die sich ihr Leben von den zunehmend undankbaren Kindern diktieren lässt, von einem Tag zum anderen eine Kämpferin: Sie will nur noch eins, und zwar durch den Ärmelkanal schwimmen. Jetzt oder nie, heißt die Devise. Dafür ist sie bereit, alles andere zu opfern: ihren Job, den Rest ihrer Gesundheit, ihre Ersparnisse und alle Beziehungen zu Menschen, die sie liebt. Nur Henny, ihre beste Freundin, hält zu ihr. Niemandem, nicht einmal Henny, verrät Beate, dass sie krank ist. Sie stößt alle vor den Kopf, weil sie mit vollkommen unerwarteter Verbissenheit und norddeutscher Sturköpfigkeit auf ihr Ziel hinarbeitet. Als ehemalige DDR-Meisterin mit Aussichten auf olympische Ehren hat Beate immerhin eine gewisse Grundlage. Damals musste sie kurz vor den olympischen Spielen wegen ihrer Schwangerschaft absagen – heute ist sie umso entschlossener. Sie schwimmt stundenlang durch die Ostsee, läuft, rudert, radelt und härtet sich durch Eiswürfelbäder ab. Alles für ihr großes Ziel, und verdutzt stellt Alex eines Tages fest: „Sie wäscht nicht mehr.“

Tatsächlich wird sie es schaffen, sie wird den Kanal und sich selbst bezwingen, mit Hennys Hilfe, und es wird spannend werden, lustig und auch ein bisschen traurig. So wie es eben auch oft im echten Leben läuft: kompliziert, aber nicht hoffnungslos.

Dies alles zeigt, macht und schafft die unglaubliche Steffi Kühnert in ihrer ersten echten Hauptrolle, und sie trifft ihr Publikum ins Herz, mit entwaffnender Natürlichkeit, mit einem unübertroffen lakonischen Tonfall und einem Charme, der so spröde wie unwiderstehlich ist. Voller Energie treibt sie diesen, ihren Film voran, der davon handelt, dass es niemals zu spät ist, ein neues Leben zu beginnen, und dass der Weg das Ziel ist. Aber dies ist auch ein Film über eine große Freundschaft, denn Henny (Jenny Schily) bleibt Beate treu, egal, was geschieht. Jenny Schily ist als Henny das genaue Gegenteil der kleinen, unauffälligen Beate: eine beinah mondäne, selbstbewusste und sehr vernünftige Frau. Doch in ihrer realistischen Darstellung, in den authentischen Dialogen, die so lebendig wie witzig sind – und manchmal eben auch ans Herz gehend traurig, da passt sie hundertprozentig zu Steffi Kühnert; wie auch alle anderen Schauspieler weniger Rollenbilder zeigen als Menschenbilder. Da sitzt das Timing, da stimmt jeder Satz und jede Geste.

Die Kombination einer tragischen Geschichte (Krebsdiagnose) und eines unrealistischen Ziels (witzige Konstellation) lässt eigentlich den Schluss zu, dass es sich wohl um eine Tragikomödie handeln muss. Doch bei aller Leichtigkeit, mit der Marc Rensing diesen seinen zweiten Kinofilm inszeniert hat: Eigentlich ist ein klassischer Abenteuerfilm dabei herausgekommen – ein spannungsreiches Spiel um eine mehr oder weniger einsame Heldin, das gleichwohl komödiantische Züge trägt. Ein Film, wenn man so will, über das Abenteuer Leben.

Herrliche Cinemascope-Bilder von Tom Fährmann (u. a. „Das Wunder von Bern“, „Am Ende eines viel zu kurzen Tages“) und eine passgenaue Musikbegleitung zwischen Puhdys und sanften Streicherklängen bilden genau den richtigen Rahmen für eine alles überstrahlende Steffi Kühnert, die mit ihrem kleinen, schiefen Lächeln jedes Hindernis bezwingt – und jeden Zuschauer bezaubert.

Gaby Sikorski