Gloria Mundi – Rückkehr nach Marseille

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Seit gut vier Jahrzehnten betätigt sich Robert Guédiguian als filmischer Chronist seiner Heimatstadt Marseille und porträtiert dabei meist die Arbeiterklasse. Auch „Gloria Mundi“ zeigt Menschen, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen, die kämpfen, um zu überleben, denen der Ruhm der Welt versagt blieb. Ein genau beobachtetes, dichtes Drama über Menschen, die im Kino sonst oft außen vor bleiben.

Website: http://filmkinotext.de/

Frankreich 2019
Regie: Robert Guédiguian
Buch: Robert Guédiguian & Serge Valletti
Darsteller: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan, Anais Demoustier, Robinson Stévenin, Lola Naymark
Länge: 106 Minuten
Verleih: Film Kino Text, Vertrieb: Filmagentinnen
Kinostart: 13.1.2022

FILMKRITIK:

Ein Baby wird geboren, es wird auf den Namen Gloria getauft. Die Eltern sind Mathilde (Anaïs Demoustier) und Nicolas (Robinson Stévenin), der als Uber-Fahrer arbeitet, als Teil der modernen Gig-Economy, selbstständig zwar, dafür ohne soziales Netz. Mathildes Mutter ist Sylvie (Ariane Ascaride), die als Putzfrau arbeitet, auch Nachts eingesetzt wird, und deren Job ständig von Einsparungen bedroht ist. Ihr Mann heißt Richard (Jean-Pierre Darroussin), ein Busfahrer, der jedoch nicht der Vater von Mathilde und der anderen Schwester Aurore (Lola Naymark) ist. Als einzige der Familie geht es Aurore und ihrem Freund Bruno (Grégoire Leprince-Ringuet) finanziell gut, das Paar betreibt eine Pfandleihe, profitiert also von den Nöten anderer.

Das Ensemble wird vervollständigt durch Daniel (Gérard Meylan), der Vater von Aurore und Mathilde, der seine jüngere Tochter jedoch noch nie gesehen hat. Nicht aus Nachlässigkeit oder Desinteresse, sondern weil er Jahrzehnte im Gefängnis war, für einen Totschlag, der laut seiner Ex-Frau Sylvie eher ein Fall von Notwehr war. Nun wird Daniel entlassen und kehrt nach Marseille zurück, nicht um Ärger zu machen, sondern nur, um seine Tochter und Enkelin kennenzulernen.

Würde es Robert Guédiguian um melodramatische Momente gehen, würde das Auftauchen des lange abwesenden Ehemanns und Vater das Leben der Protagonisten durcheinanderwirbeln. Doch der 1953 geborene französische Regisseur hat anderes im Sinn. Er will nicht dramatisieren, er will zeigen. Eine Welt, in der Menschen ihre Arbeitskraft teuer verkaufen und dennoch gerade so über die Runden kommen, zumindest so lange sie nicht krank werden, einen Unfall haben oder ein anderes unvorhersehbares, aber doch alltägliches Ereignis sie aus der Bahn wirft.

So wie sein englischer Zeitgenosse Ken Loach ist Guédiguian ein dezidiert linker Regisseur, der immer wieder, mit stoischer Intensität, gegen die Ungerechtigkeiten der Welt anfilmt. Und so wie Loach mit seinem letzten Film „Sorry we missed you“ geht es auch Guédiguian in seinem 21. Spielfilm um die so genannte Gig-Economy, eine jener Ideen des Neoliberalimus, die berufliche Unabhängigkeit als positives Element eines Arbeitsverhältnis verkaufen will, das doch nur dazu dient, möglichst alle Sozialabgaben einzusparen.

Betont undramatisch zeigt Guédiguian die Strukturen dieser nicht wirklich schönen, neuen Arbeitswelt, deutet an, wie der ständige Druck auch die Familienstrukturen belastet und schließlich zu einem Akt der Gewalt führt. Dass das Baby der Familie Gloria heißt, ist der eine pathetische Moment in einem pragmatischen Film. Was ihre Großeltern erlitten haben, was ihre Eltern durchleben, dass soll der nächsten Generation erspart bleiben, dafür ist Daniel sogar bereit, seine gerade erst gewonnene Freiheit zu opfern. Ein hoffnungsvoller Moment in einer zynischen Welt, die Guédiguian mit dezidiert linkem Impetus zeigt, ohne dabei jedoch zu predigen.

Michael Meyns