Irrlicht

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Kritik am Royalismus, ökologisches Bewusstsein, Referenzen an Kunst- und Filmgeschichte, schwule Feuerwehrleute: João Pedro Rodrigues „Irrlicht“ hat für jeden etwas zu bieten und das in gerade einmal 67 Minuten. Ein verspieltes, schwules Science-Fiction Umwelt-Musical hat der portugiesische Regisseur vorgelegt, nach seinem bedächtigen und brillanten „Ornithologen“ eine subversive Fingerübung.

Fogo-Fátuo
Portugal 2022
Regie: João Pedro Rodrigues
Buch: João Pedro Rodrigues, João Rui Guerra da Mata, Paulo Lopes Graça
Darsteller: Mauro Costa, André Cabral, Margarida Vila-Nova, Miguel Loureiro, Joel Branco, Oceano Cruz

Länge: 67 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 8. Dezember 2022

FILMKRITIK:

Im Jahre 2069 liegt König Alfredo (Joel Branco) im sterben. In einem kahlen, weißen Raum harrt er dem unvermeidlichen Ende, während ein kleiner Junge mit einem kleinen Feuerwehrauto spielt, ein früher Verweis auf den Lebenstraum Alfredos, der nur für kurze Zeit in Erfüllung ging.

Viele Jahre früher, genauer gesagt 2011, streifen der junge Alfredo (Mauro Costa) und sein Vater Eduardo (Miguel Loureiro) durch die königlichen Kiefernwälder, die der Vater zwar bewundert, aber auch missachtet: Seine brennende Zigarre wirft er achtlos weg, bevor hinter den Stämmen der mächtigen Bäume ein Chor aus jungen Mädchen auftaucht und die Schönheit des Waldes besingt.

Ein paar Jahre später sitzt die königliche Familie am Essenstisch, Alfredo hadert mit seiner Rolle als Thronfolger, losgelöst vom gemeinen Volk, der zunehmende Umweltzerstörung, die Portugal im Sommer 2017 von zahllosen Waldbränden heimgesucht, missachtet. Voller Inbrunst hält er eine Tischrede, zitiert Greta Thunbergs „Wie können Sie es wagen?!“-Rede und verkündet den überraschten Eltern seinen Berufswunsch: Feuerwehrmann.

Gesagt getan beginnt Alfredos Ausbildung in einer Feuerwache, in der die feschen, gerne nur mit Suspensorium bekleideten Männer, erotische Bilder der Kunstgeschichte nachstellen. Zumindest wenn sie nicht in Gesangsnummern ausbrechen und in Reih und Glied ihre Muskeln stählen. Besonders angetan hat es Alfredo sein persönlicher Ausbilder Alfonso (André Cabral), dem er beim üben der Mund-zu-Mund-Beatmung nahe kommt. Doch eine schwule Liebe, gerade zwischen einem weißen König und einem schwarzen Feuerwehrmann hat keine Zukunft.

Gerade einmal 67 Minuten kurz ist João Pedro Rodrigues verspielte Etüde, und angesichts eines oft sehr explizit zur Schau gestelltem Faible für Oralsex, verwundert es, dass der subversive portugiesische Regisseur nicht noch zwei Minuten zusätzlich gedreht hat, um auf eine Länge von 69 Minuten zu kommen.

Ein sexuell freizügiges Spiel mit Bezügen und Verweisen ist „Irrlicht“, ein szenisches Stück Kino, das nur lose von einem Hauch Handlung zusammengehalten wird, dafür aber in jeder Szene aufs Neue mit seiner Verspieltheit, aber auch seinen politischen Dimensionen überrascht. Ohne angestrengt zu wirken schneidet Rodrigues zahllose Themen an, erzählt vom oft nur oberflächlichen Umweltschutz, postkolonialen Bauchschmerzen, dem schwierigen Wandel eines monarchischen Systems zur Republik, Machoattitüden, all das zusammengehalten von bizarren Musicaleinlagen. Ein anarchisches Stück Kino ist „Irrlicht“ am Ende, eine mit viel Lust an der Subversion festgefahrener Erzählmuster und Seherwartungen inszenierte Etüde, die immer wieder aufs neue überrascht.

 

Michael Meyns