KABHI ALVIDA NAA KEHNA

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„Das 21. Jahrhundert gehört Indien“, ließ die Regierung in Neu Delhi vor kurzem verlauten. Keine andere Bevölkerungsgruppe in den USA ist so gebildet und erfolgreich und wächst zugleich so schnell wie die der Inder. Möglicherweise hat dieses Selbstbewusstsein Karan Johar, Regisseur der Hits „In guten wie in schweren Tagen“ und „Hochzeit auf Indisch“, dazu bewegt, sein neues Beziehungsdrama ausschließlich in New York spielen zu lassen. Sein übermütiger, höchst unterhaltsamer 3-Stunden-Schmacht-Marathon um Ehebruch und Moral vereint Schleiertänze unter Wolkenkratzen mit opernhaften Tränentälern und Screwball-Comedy. Der bislang teuerste Bollywoodfilm ist  - gemessen an den Einspielergegnissen der ersten Aufführungswoche - auch der bisher größte Auslandserfolg.

Webseite: www.rapideyemovies.de

Indien 2006
R: Karan Johar
D: Shah Rukh Khan, Rani Mukherji, Preity Zinta, Abhishek Bachchan, Amitabh Bachchan, Kirron Kher
L: 193 Min., OmdU
Verleih: Rapid Eye Moves
Start: 26. Oktober 2006
www3.dharma-production.com/KANK

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Goldene Blätter wirbeln vor der NewYorker Skyline entlang, dann sinkt das Kameraauge senkrecht von oben in ein Stadion auf die vertraute Mümmelmiene von Bollywoods Superstar Shah Rukh Khan, der gleich in Zeitlupe einen Elfmeter schießen wird. Er spielt den Fußballstar Dev Saran, der kurz nach seinem größten Triumph durch einen Unfall seine Karriere beenden muss. Zeitgleich beginnt die kometenhafte Laufbahn seiner kessen Frau Rhea (Indiens Grübchenliebling Preity Zinta) als Chefredakteurin eines Lifestylemagazins, wodurch Devs Frustration und Zynismus nur noch angestachelt werden. Dev und Rhea sind seit ihrer Kindheit befreundet, sie haben es sich mit ihrem possierlichen Sohn in einer üppigen Villa vor den Toren der Stadt nett gemacht.

Auch Event-Manager Rishi Talwar (Abhishek Bachchan) und seine durch Kinderlosigkeit deprimierte und putzsüchtige Frau Maya (Rani Mukherji, die indische Madonna mit der rauchigen Stimme) haben aus reiner Freundschaft geheiratet. Als Maya und Dev sich zum ersten Mal begegnen, sprechen sie über die Abwesenheit der großen Liebe in ihren Ehen und erteilen sich gegenseitig Eheberatung. Aber aus diesem beiderseitigen Verständnis entsteht Liebe und bald das große Hin- und Her: „Liebe und Tod kommen ungebeten“. Auch die slapstickhafte Unterstützung von Rishis Vater Samarjit (der auch im realen Leben sein Vater ist: Amitabh Bachchan, Indiens „Big B“ steht bereits als Wachskopie  bei Madame Tussard) hilft da wenig. Der betagte Samarjit angelt sich ständig neue Callgirls, kleidet sich so schrill wie Elton John in den 80ern, und veranstaltet eine Party, bei der indischer Tanz und Fernsehballett eine turbulente Mischung eingehen.

Dennoch bleiben „alle Träume unausgesprochen, alle Wünsche unerfüllt“. Dev und Maya wissen nicht mehr, wie sie ihre Ehen retten können und offenbaren sich einander -  indem sie gestehen, dass sie die Farbe blau mögen. Prompt tragen sie und alle um sie herum blaue Gewänder und Anzüge. Sie singen und tanzen weiter in gelben Kleidern vor gelben Taxis, dann in orange gewandet durch die Wälder Vermonts, in lila durch eine katholische Kirche, in hellgrün durch ein Kaufhaus, in schwarz über die Brooklyn Bridge. Alle Farben werden jeweils von den Passanten übernommen. Der überinszenierte Höhepunkt des Films wirkt wie eine riesige Werbeschleife. Es folgen drastische Zerwürfnisse: „Sag‘ mir, warum du nicht mehr mit mir schläfst?“ - „Gemeinsame Freude findet sich nicht nur im Bett.“ Nach einsamen Leidenszeiten gipfelt der tapfere Edelmut der Hauptfiguren gebührend bollywoodesk in einem hochdramatischen Finale.

Wenn Karan Johar  die Institution Ehe hinterfragt - „Wie viele von den eigenen Wünschen ist man bereit aufzugeben? Sollte man überhaupt Kompromisse eingehen?“ -  blickt er in den Westen. Denn in Indien sehen sich immer noch die meisten Brautleute zum ersten Mal auf der Hochzeit. Trotz aller modernen Ansprüche hält sich Johar an die traditionellen Werte. Im ersten Bild schreibt er „I love you mum“ auf die Leinwand.

Warum finden Bollywood-Filme auch hier immer mehr Erfolg? Weil sie mehr Emotionen als eine dekonstruktivistisch inszenierte Oper bieten? Seit August gibt der Verleih „Rapid Eye Movies“ ein deutsches „Bollywood“-Magazin heraus. Vielleicht sollte man diesen Hype im größeren Rahmen betrachten. „Seit 5000 Jahren ist der Westen von Indien fasziniert“, meinte der indische Produzent Ismail Merchant einmal, „Mal kommt Indien in Mode, etwa durch die Beatles, dann ist es wieder out. Na, und?“

Dorothee Tackmann