Lichter der Vorstadt

Mit „Lichter der Vorstadt“ beschließt Aki Kaurismäki eine Trilogie, die vor zehn Jahren mit „Wolken ziehen vorüber“ begann und 2002 mit „Der Mann ohne Vergangenheit“ seine Fortsetzung fand. Nach den Themen Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit widmet sich der finnische Regisseur  nun dem großen Ganzen: der Zerstörung der kompletten sozialen Existenz. Anders als in den ersten beiden Teilen herrscht in „Lichter der Vorstadt“ eine klirrende Kälte, die weder durch Humor noch warme Worte abgemildert wird. Doch alles in allem führt der Film dem Kaurismäki-Kosmos nichts Neues hinzu. Schön anzusehen ist er wegen seiner Bildästhetik und strengen Komposition jedoch allemal.

Webseite: www.pandorafilm.com

Finnland 2006
Regie und Buch: Aki Kaurismäki
Darsteller: Janne Hyytiäinen, Maria Järvenhelmi, Maria Heiskanen, Ilkka Koivula
80 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: 21. Dezember 2006

PRESSESTIMMEN:

Aki Kaurismäki wird seinem Ruf als Chef-Melancholiker des europäischen Kinos mehr als gerecht. Sein Humor ist trockener als finnischer Wodka.
ARD Tagesthemen

Der tieftraurige und zugleich sehr schöne Film bietet mit seiner kleinen Geschichte großes Gefühlskino.
film-dienst

Alles wie gehabt und doch bewegend; was Kaurismäki kann kann sonst niemand mehr.
Der Spiegel

Einsamkeit in ihrer schönsten Form.
Die Zeit

Ein finnischer film noir mit viel Herz und Mitgefühl.
Spiegel Online

FILMKRITIK:

In der „Trilogie der Verlierer“, wie Kaurismäki sein Werk nennt, heißt der arme Wicht diesmal Koistinen (Janne Hyytiäinen). Er arbeitet als Wachmann in Helsinki und ist ein zurückhaltender Einzelgänger. Aber das Leben ist ihm nicht egal. Als sich Koistinen in Gestalt der schönen Mirja (Maria Järvenhelmi) das Glück zu nähern scheint, ergreift er seine Chance. Die beiden gehen aus, Mirja macht dem scheuen Verehrer Hoffnungen, eine Liebesgeschichte scheint sich anzubahnen. Der Imbiss-Verkäuferin Aila (Maria Heiskanen), die ihn heimlich liebt, erzählt Koistinen, er habe jetzt eine Freundin. Doch in Wahrheit spioniert Mirja den Wachmann im Auftrag eines Gangsters aus. Mit seiner unfreiwilliger Hilfe soll ein Juwelier-Geschäft ausgeraubt werden. Der Plan gelingt. Koistinen muss ins Gefängnis und wird anschließend von den Gangstern daran gehindert, wieder auf die Füße zu kommen. So verliert Koistinen alles: seine Liebe, seine Arbeit, seine Wohnung, kurzum die Eckpfeiler seiner Existenz.

 

Die Kamera fährt über die abweisenden Fassaden und monströsen Häuserblocks Helsinkis und schon stellt sich dieses Kaurismäki-Gefühl ein: Die Welt ist ein unwirtlicher Ort. Ein Ort zudem, wo das Schicksal die Menschen mit unerbittlicher Konsequenz ihrer Bestimmung zuführt. So streng wie mit Koistinen ist der finnische Regisseur vielleicht mit noch keiner seiner Figuren umgegangen. Jede Begegnung des Wachmanns mit der schönen Mirja erweist sich als fiese Volte, die seine Schussfahrt ins Nichts beschleunigt. Mit bemerkenswerter Kälte („Und ich muss dem Jammerlappen schöne Augen machen“) beobachtet die Gangsterbraut,  wie ein Unschuldiger zermalmt wird. Und der Wachmann, der das Spiel irgendwann durchschaut, fügt sich in sein Schicksal, mehr noch, er hilft sogar dabei, die Last der Schuld auf seine Schultern zu lenken. Mit anderen Worten: Es gibt in dieser Geschichte kein Entrinnen. Dass Koistinen sich nicht beziehungsweise am Ende sehr tölpelhaft wehrt, verwundert zunächst. Er hätte unbeschadet aus der Sache herauskommen können, doch er tut nichts dafür. Dafür gibt es wahrscheinlich zwei Gründe: Die Gangster sind keine kleinen Lichter. Man darf in ihnen wohl Vertreter des Turbo-Kapitalismus sehen, die alles mitreißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Widerstand ist da zwecklos. Mit der auffälligen Schicksalsergebenheit seines Helden führt Kaurismäki des Weiteren vor, dass das Festhalten an moralischen Werten heutzutage geradezu ins Verderben führt. „Er ist treu wie ein Hund“, lautet ein Schlüsselsatz des Gangsterbosses über Koistinen. In der Tat: Treue, Zuverlässigkeit und Vertrauen sind Werte, die der Wachmann auch dann nicht aufgibt, als es ihm an den Kragen geht. Diese Integrität teilt er mit „Chaplins schmächtigem Tramp“, auf den sich Kaurismäki auch im Filmtitel in Anspielung auf „Lichter der Großstadt“ bezieht. Aber anders als dem Tramp wird dem Wachmann nicht die Gnade des Humors gewährt, der die Welt erhellt. Und die gnädige Wendung, die das Geschehen am Ende zu nehmen scheint, ist zwar ein hübscher Kniff Kaurismäkis, der die vorangegangenen Bilder in ein neues Licht stellt, aber so richtig schlüssig ist sie nicht.

Man mag in „Lichter der Vorstadt“ die Wiederholung so mancher inhaltlicher Motive monieren und dass wie immer viel geraucht, getrunken und geschwiegen wird. Aber die Bilder Kaurismäkis und seines langjährigen Kameramanns Timo Salminen sind immer noch faszinierend. Bei der Lichtsetzung erweisen sie dem Hollywood-Kino der fünfziger Jahre und im Besonderen den Filmen Hitchcocks ihre Reverenz, die mit dem Licht Schärfe und Raumtiefe erzeugten. In diesem Setting und durch die schnörkellose Inszenierung wirken die Figuren oft wie hingestellte Skulpturen. Auch Autos, Kleidung und Interieur entstammen den fünfziger Jahren, obwohl die Geschichte eindeutig in der Gegenwart spielt. Es gibt daneben handwerkliche Fragwürdigkeiten zu bestaunen. Etwa die heftigen Schlagschatten, die das Licht gelegentlich wirft, oder der Umstand, dass plötzlich moderne Autos neben den alten Schleudern im Bild sind. Doch solche Unzulänglichkeiten sind charmant. Sie gehören sozusagen zu Kaurismäkis Stil.

Volker Mazassek

 

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