Madonnen

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Einen Film über verweigerte Mutterliebe „Madonnen“ zu nennen, ist ein starkes Statement. Maria Speth stellt das Bild der weiblichen Zuwendung, für das die Madonna in der christlichen Ikonographie steht, radikal in Frage. Müssen Frauen, wenn sie Mütter, werden, ihr Leben vollständig dem Kindeswohl unterordnen? Speth gibt darauf keine Antwort. Sie schildert nur lakonisch und schmerzhaft präzise, was passiert, wenn sich eine Frau dem Muttersein entzieht. Diese Frau bleibt in vielen Dingen rätselhaft, und obwohl der Film im Unterschichten-Milieu spielt, ist er nicht nur ein Kommentar zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Hauptfigur ist so angelegt, dass auch die Schwierigkeiten von Müttern mit einem anderen sozialen Status im Blickfeld bleiben. Und dank seiner beiden Hauptdarstellerinnen wird der Film zu einer höchst intensiven Sozialstudie.

Webseite: www.peripherfilm.de

D 2007
Buch und Regie: Maria Speth
Darsteller: Sandra Hüller, Luisa Sappelt, Susanne Lothar, Coleman Orlando Swinton
125 Minuten
Verleih: Peripher
Kinostart: 6. Dezember 2007

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Rita ist eine junge, sehr impulsive Frau. Das unerquickliche Ende eines Telefongesprächs quittiert sie damit, dass sie wütend den Hörer malträtiert. Dann fährt sie mit ihrem Baby weiter nach Belgien, wo sie ihren Vater aufsuchen will, der sich aus dem Staub gemacht hat. Es ist eine Reise, die zugleich eine Flucht ist, denn die deutsche Polizei sucht sie. Unangemeldet steht Rita schließlich vor dem Haus ihres Vaters, in dem er mit seiner Familie lebt. Es ist eine peinliche Situation, und Rita tut alles, um sie zu verschärfen. Als sie ihr Baby stillt, lässt sie sich auf sexuelle Spielchen mit dem Sohn ihres Vaters ein, immerhin ihr Halbbruder. Die Mutter ihres Vaters platzt herein und es dauert nicht mehr lang, bis Rita der deutschen Polizei ausgeliefert wird und im Gefängnis landet – mit ihrem Baby, das, wie beiläufig erzählt wird, nicht ihr einziges Kind ist. Sie hat deren fünf, die bis auf ihr jüngstes bei ihrer Mutter wohnen.

Nachdem sie die Haft verbüßt hat, mietet sie eine Wohnung und holt gegen den Widerstand ihrer Mutter die Kinder zu sich. Ein neuer Mann, ein schwarzer amerikanischer Soldat, gesellt sich dazu, und es formiert sich in Ansätzen ein Gebilde, das man Familie nennen könnte. Doch Rita bricht immer wieder aus, lässt ihre verstörten Kinder allein, geht in Discos, betrinkt sich, bandelt mit Männern an. Das Leben als Mutter spielt sie wie eine Rolle, und es lässt sich erahnen, dass sie wieder aus der Rolle fallen wird.

Rita ist keine sympathische Figur. Sie ist aggressiv, zerstörerisch, sie will alles sofort, und sie ist rücksichtslos. Vor allem aber hat sie Probleme mit Bindungen, zu Männern ebenso wie zu ihren eigenen Kindern. So viel Unerfreuliches ist eigentlich tödlich für die Hauptfigur eines Films, doch hier funktioniert es. Obwohl sie wenig Sympathisches bietet, bleibt die Neugier aus einem gewichtigen Grund wach. Zu drastisch ist der Bruch mit den Erwartungen, die an eine Mutter gerichtet werden. Eine Mutter hat sich um ihre Kinder zu kümmern. Das steht so fest wie eine in Stein gemeißelte Madonna. Rita unterläuft diese Erwartungen, vielleicht weil ihre Mutter nie für sie da war und sie deshalb aus Rache ein Kind nach dem anderen in die Welt setzt, das sie dann abschiebt. Das bleibt allerdings unklar. Der Regisseurin geht es nicht um die Erklärung individuellen Verhaltens. Man kann an Hartz-IV-Kinder denken, deren emotionale Armut sich ins Erwachsenen-Dasein verlängert, man kann aber auch an wohlhabende Eltern denken, die ihre Kinder ins Internat abschieben.

Was ein solches Verhalten für die Kinder bedeutet, kann ebenfalls in „Madonnen“ besichtigt werden. Die fünf Jungen und Mädchen sind enttäuscht, hilflos und in einem Zustand dauernder Verunsicherung. Ihrer Mutter trauen sie nicht über den Weg. Dass sie wieder bei ihr wohnen, betrachten sie als weitere Etappe ihres Leidenswegs. Sandra Hüller, die dank ihrer Vorstellung in Hans-Christian Schmids „Requiem“ hoch dekorierte Entdeckung des deutschen Films, spielt ihren Part als Rabenmutter mit kalter Konsequenz durch – sicherlich eine harte emotionale Herausforderung. Als ebenbürtig erweist sich Luisa Sappelt, das älteste ihrer Film-Kinder. So traurig und verzweifelt hat man selten eine Kinder-Darstellerin agieren sehen. Eine herzerweichende Leistung.

Volker Mazassek