Mehr denn je

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Nach ihrem vielfach ausgezeichneten „3 Tage in Quiberon“ zieht es die französisch-deutsche Regisseurin Emily Atef für ihren neuen Film nach Frankreich, wo sie das Drama „Mehr denn je“ inszenierte, das in Cannes in der Nebenreihe Un Certain Regard gezeigt wurde. Vor allem Vicky Krieps ragt in der Hauptrolle als schwer kranke Frau heraus, an ihrer Seite ist der unlängst ums Leben gekommene Gaspard Ulliel in seiner letzten Rolle zu sehen.

Plus que jamais
Frankreich/ Deutschland 2021
Regie: Emily Atef
Buch: Emily Atef & Lars Hubrich
Darsteller: Vicky Krieps, Gaspard Ulliel, Bjørn Floberg

Länge: 123 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: demnächst

FILMKRITIK:

Hélène (Vicky Krieps) ist krank. Sie leidet an einer seltenen Lungenkrankheit, die das Atmen immer schwieriger macht und unweigerlich zum Tod führen wird. Hoffnung gibt es kaum, eine Lungentransplantation könnte ihr Leben für eine gewisse Zwit verlängern, eine Hoffnung, an die sich allerdings vor allem Hélènes Mann Mathieu (Gaspard Ulliel) klammert.

Verstehen, was wirklich in seiner Frau vorgeht, kann er jedoch nicht, so sehr er sich auch bemüht. Trotz der großen Liebe zwischen dem Paar ist sie allein, weiß, dass sie bald sterben wird, dass das Schicksal unaufhaltsam sind. Ihre Freunde versuchen eine Normalität vorzutäuschen, die längst nicht mehr existiert, die Hélène zunehmend weniger erträgt. So bricht sie aus ihrem Leben in Bordeaux aus und reißt nach Norwegen, in einen abgelegenen Fjörd. Dort lebt Bent (Bjørn Floberg), ein Mann, dessen Blog Hélène schon länger verfolgt hat, ein Leidensgenosse, der momentan zwar geheilt ist, aber weiß, wie es sich anfühlt schwer krank zu sein. In der Einsamkeit der norwegischen Landschaft findet Hélène Ruhe, doch trotz schlechtem Handy-Empfang bleibt ihr Leben in Bordeaux, bleibt Mathieu ständig präsent. Erst als ihr Mann sie in Norwegen besucht hat kann nicht nur Hélène ihr Schicksal endgültig akzeptieren, sondern auch Mathieu.

„Die Lebenden können die Sterbenden nicht verstehen“ sagt Bent einmal zu Hélène, und dieser Satz führt zum Kern von Emily Atefs Film. Zum ersten Mal hat die deutsch-französische Regisseurin in Frankreich gedreht, eine internationale Produktion mit Vicky Krieps und dem nach den Dreharbeiten verstorbenen Gaspard Ulliel in den Hauptrollen. Die letzte Rolle des in Frankreich hoch geschätzten Ulliel ist „Mehr denn je“, was dem Drama um den Umgang mit dem Tod, die Schwierigkeit, das angekündigte Sterben eines geliebten Menschen zu akzeptieren, zusätzlich auflädt.

Doch „Mehr denn je“ ist ganz und gar Vicky Krieps' Film, in fast jeder Szene ist die luxemburgische Schauspielerin zu sehen. Doch auch wenn das Leiden von Hélène im Mittelpunkt steht,  ist „Mehr denn je“ weniger ein Film über das Sterben, als über das Leben. Vor allem im letzten Drittel, als das Paar allein in Norwegen ist, Mathieu langsam begreift und akzeptiert, dass ein Abschied bevorsteht, gelingen Emily Atef berührende Momente.

Wie Mathieu langsam akzeptiert, dass sein Festhalten an wagen Hoffnungen Hélène mehr belastet als ihr nahender Tod, wie er akzeptiert, dass sie bereit für den Tod ist und der größte Beweis seiner Liebe nicht ein Festhalten, sondern das Loslassen, lässt „Mehr denn je“ zu einem anrührenden Liebesfilm werden – obwohl oder gerade weil er im Angesicht des Todes spielt.

 

Michael Meyns