Mit 20 wirst du sterben

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Einen Film aus dem Sudan bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Allein das ist ein guter Grund, sich „Mit 20 wirst du saterben“ anzuschauen, den Debütfilm von Amjad Abu Alala, der nach langer Festivalkarriere nun auch in die deutschen Kinos kommt. Doch auch abseits seiner Exotik überzeugt die Coming of Age-Geschichte durch ihre präzisen Bilder und ihr Spiel mit Mythen und Traditionen.

You Will Die at Twenty
Sudan/ Ägypten/ Frankreich/ Norwegen/ Deutschland/ Katar 2019
Regie: Amjad Abu Alala
Buch: Yousef Ibrahim & Amjad Abu Alala, nach einer Kurzgeschichte von Hammour Ziada
Darsteller: Mustafa Shehata, Islam Mubarak, Talal Afifi, Mahmoud Elsaraj, Amal Mustafa, Bunna Khalid, Nahid Hassan

Länge: 103 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 25. August 2022

FILMKRITIK:

In der Al-Jazira Provinz im Sudan wächst Muzamil (Mustafa Shehata) auf. In einem kleinen Dorf, das aus wenigen Hütten besteht, umgeben von den Weiten der Sahara. Als er ein Baby war, ging seine Mutter Sakina (Islam Mubarak) mit Muzamil zum Propheten des Dorfes, der prophezeite, das Muzamil an seinem 20. Geburtstag sterben wird. Ein Schicksal, dass sein Vater Alnoor (Talal Afifi) nicht ertragen konnte: Er verlässt Frau und Kind, um im Ausland zu arbeiten, nur gelegentliche Briefe lassen Muzamil wissen, dass er überhaupt einen Vater hat.

Überfürsorglich sorgt die Mutter für ihren Sohn, der in der Schule gehänselt wird und als Teenager einen Job beim örtlichen Händler annimmt. So begegnet er auch dem lebensmüden Sulaiman (Mahmoud Elsaraj), der nach Jahren des Reisens in seine Heimat zurückgekehrt ist. Ein weltgewandter Mann ist dieser Sulaiman, wird vom Händler mit dem im streng religiösen Sudan eigentlich verbotenen Alkohol versorgt, lebt mit der Prostituierten Set (Amal Mustafa) zusammen und erzählt Muzamil vom Leben außerhalb der Grenzen des Sudans, jenseits der kleinen Dorfgemeinschaft.

Einen altertümlichen Filmprojektor besitzt Sulaiman, auf dem er Muzamil Klassiker des Nordafrikanischen Kinos wie Youssef Chahines „Cairo Station“ zeigt, aber auch Dokumentaraufnahmen aus einer Zeit, als der Sudan noch weltoffen war, in der Hauptstadt Khartum getrunken, getanzt und gefeiert wurde, die Religion noch nicht alle Aspekte des Lebens beherrschte.

Geschickt kontrastiert Amjad Abu Alala in seinem Debütfilm „Mit 20 wirst du sterben“ Religion und Kino, Tradition und Moderne, wenn man so will eine alte und eine neue Form der Magie. In Dubai geboren, verbrachte Alala vor allem in seiner Kindheit Zeit im Land seines Vaters, erlebte das einfache, traditionelle Dorfleben im Sudan, ein gewiss extremer Kontrast zum Leben in der Metropole Dubai.

Mit internationalen Geldern gelang es Alala, den erst achten Langfilm in der Geschichte des Sudans zu drehen, der auch der erste war, den das Land in die Vorauswahl für den Oscar schickte. Kein Wunder, denn bei seiner Premiere beim Filmfestival in Venedig wurde Alalas Film als Bestes Debüt ausgezeichnet und gewann danach auf seiner Festivalkarriere zahlreiche Preise.

Angesichts seiner Produktionsgeschichte und der Herkunft seines Regisseurs mag man „Mit 20 wirst du sterben“ gleichzeitig als Film aus dem Sudan betrachten, der auch einen Blick von Außen auf ein Land wirft, das seit seiner Unabhängigkeit eine Militärdiktatur ist und lange Zeit auch Heimat für Terroristengruppen wie Al-Qaida war. Gesellschaftskritik ist da also angebracht, doch dankenswerter Weise liefert Amjad Abu Alala sie auf eher subtile Weise. Missstände werden angedeutet, veraltete Traditionen mit den Möglichkeiten der Moderne kontrastiert, im Kern erzählt „Mit 20 wirst du sterben“ jedoch eine zeitlose, universelle Coming of Age-Geschichte: Ein junger Mensch, der sich aus den Fesseln seiner Herkunft befreit und seinen eigenen Weg geht. Egal ob in den Betonwüsten westlicher Metropolen, in den Bergen des Himalayas oder eben in der Wüste des Sudans: Diese Geschichte kennt jeder, mit diesem Schicksal kann man sich überall auf der Welt identifizieren. So ist Amjad Abu Alala auch jenseits des exotischen Werts, den er als Film aus dem Sudan besitzt, ein bemerkenswertes, sehr sehenswertes Debüt.

 

Michael Meyns