Der Film beginnt im wahrsten Sinne des Wortes als krachende Komödie und entwickelt sich in eine tragische Richtung, bis am Ende wieder ein paar leichtere Töne angeschlagen werden: Die Geschichte der ehrgeizigen Jung-Journalistin Niina, die in den 1980er Jahren den geheimnisvollen Absturz einer Rakete aufklären will, wird zur Entdeckungsreise zu ihrer eigenen Souveränität.
Obwohl der Film die leichte Stimmung des Anfangs nicht durchgängig halten kann – und will, überzeugt die Tragikomödie mit bärbeißigem Humor, einer interessanten Ansammlung origineller bis bizarrer Charaktere und einem sehr coolen Setting, wozu neben dem winterlichen Polarkreis-Feeling und vielen Vokuhila-Frisuren auch jede Menge eingängige 80er-Hits gehören.
Webseite: https://www.neuevisionen.de/de/filme/neuigkeiten-aus-lappland-151
Finnland, Estland 2024
Drehbuch und Regie: Miia Tervo
Mitwirkende: Oona Airola, Pyry Kähkönen, Hannu-Pekka Björkman
Musik: Lau Nau
Länge: 119 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Start: 14. November 2024
FILMKRITIK:
Es ist immer irgendwie verdächtig, wenn man vom eigenen Autoanhänger überholt wird. Genau das passiert Niina, als sie mit ihren beiden Kindern und dem frisch geschlagenen Weihnachtsbaum zurück nach Hause fährt. Leider kann Niina weder den Anhänger noch das Unglück aufhalten – er kracht mitsamt dem schönen Baum ungebremst ins Schaufenster der „Lappland News“, der einzigen Zeitung im weiten Umkreis. Um den Schaden wieder gutzumachen, bietet Niina dem verlotterten Chefredakteur des Käseblättchens an, dass sie für ihn Artikel schreibt. Er willigt ein, doch Niinas erste Gehversuche als Reporterin sind eher unbeholfen. Angesichts der Tatsache, dass der meistgelesene Artikel im letzten Jahr davon handelte, dass Aimi Pirkola beim Eisangeln einen Strumpf verloren hat, muss Niina auch ihre Ansprüche an eine interessante Story etwas zurückschrauben. Ihre große Stunde schlägt, als sie eines Nachts einen ohrenbetäubenden Knall hört. Da muss was abgestürzt sein, denkt Niina und beginnt ihre Recherchen. Während sie immer mehr Indizien dafür entdeckt, dass eine sowjetische Rakete in den vereisten See gestürzt ist, wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt: Niinas Ex-Mann wird aus der Haft entlassen und meldet Ansprüche an. Das könnte Ärger bedeuten, nicht nur, weil sich Niina mittlerweile in den feschen Militärpiloten Kai verliebt hat, sondern auch, weil sie inzwischen gelernt hat, Nein zu sagen.
Die Handlung entwickelt sich durch zahllose verzwickte Verwicklungen zu einer komplexen Geschichte mit zunächst einmal viel Situationskomik und originellen Charakteren: Da ist der Zeitungschef Esko, ein äußerlich verwahrloster Typ mit dem schlimmsten Vokuhila aller Zeiten, der hinter seiner Ruppigkeit ein sehr weiches Herz versteckt. Ebenfalls originell, allerdings deutlich weniger sympathisch ist Tapio, Niinas Ex-Mann, der sich sofort nach der Entlassung aus dem Knast in Niinas Wohnzimmer breitmacht und sich an die beiden Kinder ranmeiert. Niinas resolute Schwester Kaisa, die nicht nur Haare auf den Zähnen hat, sondern auch schon mal kräftig zulangen kann, schmeißt ihn achtkantig raus. Tapio lässt jedoch nicht locker und schreckt nicht einmal davor zurück, vor Niina auf die Knie zu gehen, um sie wieder zurückzugewinnen. Angeblich ist er jetzt ein ganz anderer Mensch. Keine Gewalt mehr, auch nicht gegenüber Niina. Kann sie ihm wirklich trauen?
So wie Niina sich zu Anfang verhält, ist sie beinahe das perfekte Opfer. Oona Airola spielt sie sehr gut als Frau, die jede Gemeinheit hinnimmt wie einen unvermeidbaren Schicksalsschlag, schweigend und geduldig, sie ist hochgradig unsicher und lässt sich ohne Gegenwehr beleidigen. Und sie kommt damit keinen Zentimeter weiter, denn die Zahl der Menschen, die Respekt vor ihr haben, ist erschütternd niedrig.
Das wirft interessante Parallelen auf: Niina, die Frau, die sich eigentlich prinzipiell nicht zur Wehr setzt, wenn man sie körperlich oder seelisch verletzt, verhält sich ähnlich wie das Land, in dem sie lebt. So wie Niina sich von ihrem Ex-Mann und von allen möglichen und unmöglichen anderen Leuten, meistens Männern, schlecht behandeln bis unterdrücken lässt, geht es im Grunde auch ganz Finnland. 1500 Kilometer Grenze zur Sowjetunion machen das Land angreifbar und verletzlich, aber da wird dann eben lieber geschwiegen und still erduldet als protestiert. So wird der Film zur Parabel, denn so ist auch Niina, allerdings findet sie für sich selbst heraus, dass es so nicht weitergehen kann. Sie ändert sich – ein ziemlich schmerzlicher Prozess – für sich selbst und für ihre Kinder. Dabei hilft ihr die neue Arbeit: Schreiben als Problembewältigung und als Katalysator für mehr Mut und Selbstvertrauen.
Auch wenn der Schluss eher leise ist: Dieser Film hat neben seinem vermutlich typisch lappländischen Rustikalhumor, der leicht düsteren Komödienatmosphäre und einer turbulenten Handlung noch eine ganze Menge mehr zu bieten. Zum Beispiel einen der schönsten Filmanfänge der letzten Jahre sowie einen hammerharten Gag, der mit einem Kassettenrekorder und einem Modern Talking-Hasser zu tun hat. Unfassbar komisch!
Gaby Sikorski