Schiff des Torjägers, Das

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Ein afrikanischer Fußballprofi in Deutschland, der beschuldigt wird, ein Sklavenschiff zu besitzen. Im Frühjahr 2001 sorgte diese Geschichte für viel Wirbel und eine Diskussion über moderne Sklaverei, die inzwischen wieder weitestgehend aus den Medien verschwunden ist. Die Schweizer Regisseurin Heidi Specogna rollt nun in ihrer Dokumentation den Fall noch einmal auf.

Webseite: www.schiff-des-torjaegers.de

Deutschland/ Schweiz 2010 - Dokumentation
Regie: Heidi Specogna
Drehbuch: Heidi Specogna, Kristine Kretschmer
Länge: 91 Min.
Verleih: W-film
Kinostart: 2. Dezember 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Die Fakten sind schnell erzählt: Im April 2001 wurde vor der westafrikanischen Küste eine alte Fähre namens Etireno aufgebracht, die angeblich mit mehreren Hundert Kindern auf dem Weg nach Gabun war, wo die Kinder als Sklaven arbeiten sollten. Wie sich schnell herausstellte, gehörte die Fähre dem nigerianischen Fußballprofi Jonathan Akpoborie, der zu diesem Zeitpunkt sehr erfolgreich für den VfL Wolfsburg Tore schoss. Angesichts des Skandals, den Medien und Menschenrechtsorganisationen schürten, wurde Akpoborie schnell suspendiert, was mehr oder weniger das Ende seiner Kariere bedeutete, während die Kinder – soweit möglich – in ihre Heimatländer zurückgebracht wurden. Zur Rechenschaft gezogen wurde niemand.

Was genau auf der Etireno passierte, weiß auch Heidi Specogna nicht zu beantworten, es scheint auch nicht wirklich ihr Ziel zu sein. Ausführlich lässt sie beide Seiten zu Wort kommen: Jonathan Akpoborie berichtet von seiner Karriere und dem Schiff, dass er für seine Brüder in der Heimat kaufte, ohne zu wissen, was im täglichen Geschäft passierte. Eine Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Terre des Hommes wiederum ist immer noch der Meinung, dass der Medienrummel, der um das angebliche Sklavenschiff entstand, eine gute Sache war. Fraglos ist Akpoborie weich gefallen, nach zehn Jahren in der Bundesliga hatte er finanziell ausgesorgt. Und doch hätte man sich gewünscht, dass Specogna sich auch die Mühe gemacht hätte, Akpobories Brüder zu interviewen, darauf hinzuweisen, dass auf der Etireno letztlich nicht hunderte Kinder gefunden wurden, sondern nur 43 Passagiere, darunter 23 Kinder. Zwei dieser inzwischen fast erwachsenen Kinder hat sie aufgesucht und zeigt, wie die Erlebnisse das Verhältnis zu ihren Eltern auch Jahre später noch belasten. Diese hatten die Kinder aus der Not heraus zu wohlhabenden Verwandten geschickt, im guten Glauben, dass es ihnen dort besser gehen würde. Dass die sehr jungen Kinder ihren Verwandten im Haushalt oder Geschäft hätten helfen müssen, mag in den Augen des Westens wie eine Form der Leibeigenschaft wirken, in Afrika ist es eine traditionelle Form des Familienzusammenhalts. Unter dessen Mantel fraglos auch kriminelle Aktivitäten stattfinden, schließlich sind moderne Formen der Sklaverei eine Tatsache, die billigen Arbeitskräfte in der Textilindustrie, aber auch in den Gewächshäusern in Südeuropa, letztlich Basis für weite Teile der westlichen Konsumgesellschaft.

Auf diese Zusammenhänge weißt Specognas Film allerdings leider nicht hin. Sie bemüht statt dessen den etwas fragwürdigen Bezug zwischen Sklavenhandel und dem modernen Fußballgeschäft, in dem immer jüngere Talente aus aller Welt in Ausbildungsinternaten europäischer Großvereine leben und mit viel Glück ans große Geld des Fußballs kommen können. Der ganzen Komplexität des modernen Sklavenhandels wird das nicht wirklich gerecht. Dennoch weist „Das Schiff des Torjägers“ mit seiner zurückhaltenden, betont objektiven Form, die komplett auf eigene Kommentare verzichten, auf vielfältige Probleme hin. Nicht zuletzt auf die marktschreierische Medienlandschaft des Westens, die meist nur dann über die vielfältigen Probleme der Welt berichtet, wenn ein tatsächlicher oder angeblicher Skandal, am besten unter Beteiligung eines Prominenten, für kurze Zeit Aufmerksamkeit verspricht.

Michael Meyns

Nigeria, Gabun, Benin auf der einen Seite, Dänemark, Deutschland, Schweiz auf der anderen. Die Ländernamen deuten schon ein wenig einen Gegensatz an, um den es hier geht: um Kinderhandel nämlich, der in Europa als Verbrechen gilt und in gewissen afrikanischen Gegenden Tradition zu sein scheint.

Anfang unseres Jahrhunderts, Bundesliga, VfL Wolfsburg. Dort ist Jonathan Akpoborie Torjäger. Im Unterschied zu seiner Familie in Afrika geht es ihm finanziell bestens. Deshalb kauft er für seine Leute, seine Brüder vor allem, das dänische Fährschiff Etireno, um ihnen damit einen Broterwerb zu ermöglichen.

Dann kommt eines Tages die schreckliche Nachricht, auf dem Schiff seien hunderte Kinder, von Händlern angeworben und von ihren Eltern praktisch verkauft, dabei, nach Gabun transportiert zu werden, um dort zu arbeiten. Wegen der Reisekosten würden sie erst nach zehn Jahren Lohn erhalten! Sie sollen ihre Familien unterstützen, in Wirklichkeit sind sie so etwas wie Sklaven.

Akpoborie beteuert, vom Treiben seiner Brüder nichts gewusst zu haben. Eine Schuld konnte ihm nie nachgewiesen werden. Nach Eintreffen der schlimmen Nachricht wurde er vom VfL Wolfsburg sofort entlassen.

„Terre des hommes“ ist es offenbar zu verdanken, dass die kriminelle Vorgehensweise aufgedeckt wurde. Dem Vernehmen nach ist es dadurch in Benin zu einer Gesetzesänderung gekommen.

Die Schweizer Autorin und Regisseurin dieses Dokumentarfilms sprach mit den Beteiligten: mit zwei Kindern, die damals praktisch verkauft wurden und nun wieder zu Hause leben; mit deren fragwürdigen Eltern; mit dem Mann, der seit Jahren das Wrack der Etireno bewacht; mit Jonathan Akpoborie
selbstverständlich; mit Wolfsburgs Manager; mit Vertretern von „Terre des hommes“ sowie von UNICEF und anderen. Das verfügbare Bildmaterial wurde entsprechend eingegliedert.

Formal mag das kein Spitzenfilm sein, aber er ist von eminenter Wichtigkeit, weil er ein afrikanisch-asiatisches Problem zur Sprache bringt und eine der schwersten Untaten aufdeckt: Kinderhandel und Kinderarbeit.

Thomas Engel