Sibirisch für Anfänger

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In diesen Zeiten einen russischen Film ins Kino zu bringen mag riskant erscheinen, „Sibirisch für Anfänger“ ist jedoch ein Film, der nicht aus dem europäischen, slawisch geprägten Teil des Riesenlandes stammt, sondern aus dem fernen Osten. Dort spielen die sieben Episoden, mit denen das Regie-Duo Stepan Burnashev und Dmitry Davydov auf lakonische Weise vom Leben in der Tundra erzählen.

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Russland 2021
Regie & Buch: Stepan Burnashev Dmitry Davydov
Darsteller: Innokentiy Lukovtsev, Sergei Balanov, Djulustan Semyonov, Petr Sadovnikov, Alexey Mikhailov, Irina Mikhaylova

Länge: 103 Minuten
Verleih: Cineglobal
Kinostart: 15. Dezember 2022

FILMKRITIK:

Tausende Kilometer von Moskau entfernt, im tiefsten Sibirien, näher an Alaska als am Ural Gebirge, liegt die russische Region Sakha. Auf einer Fläche, die circa neun Mal so groß ist wie Deutschland, leben eine Millionen Menschen. Viel Platz also, doch dort wo Menschen aufeinander treffen gibt es wie überall Probleme, Missverständnisse, Meinungsverschiedenheiten.

Und von denen erzählen Stepan Burnashev und Dmitry Davydov in ihrem Episodenfilm „Sibirisch für Anfänger“, der verständlicher- aber auch treffenderweise schon oft mit den Filmen Aki Kaurismäkis verglichen wurde. Der lakonische Tonfall ist ein Grund, vor allem der Alkohol, der hier wie dort in Strömen fließt und mit dem die Sorgen des Alltags, aber auch die Einsamkeit verdrängt werden soll, der aber oft zu eskalierenden Emotionen führt.

Dass allzu viele Bewohner des Dorfes ein Gewehr besitzen macht die Situation nicht einfacher. „Streit und Probleme, das kommt alles vom Alkohol“ sagt da der Dorfvorsteher treffend zu dem Mann, der gerade seine Braut mit nach Hause gebracht hat, nun aber im Suff seine Verwandten mit dem Gewehr bedroht. Kurzfristige Lösung des Problems ist dann jedoch erst einmal mehr Alkohol, im Koma kann man schließlich niemanden erschießen.

Ganz andere Probleme haben zwei Nachbarn: Weil eine Toilette voll ist, soll eine neue gebaut werden, allerdings unmittelbar an der Grundstücksgrenze, direkt neben dem Gemüse der Nachbarn. Der zeigt sich wenig begeistert und verspricht seiner Frau, sich endlich zu wehren. Nicht nur hier sind es meist die Frauen, die in Sakha die Hosen anhaben, so etwa in der Episode, in der ein Mann seiner Frau gestehen muss, dass er in alkoholisiertem Zustand das gesamte Vermögen des Paares verspielt hat.

Wie aus dem Leben gegriffen muten die kurzen Geschichten an, ein Effekt, der durch den visuellen Stil noch verstärkt wird: In langen Einstellungen zeigen die Regisseure das Geschehen, nutzen die Cinemascope-Leinwand, um die Enge der kargen Häuser wirken zu lassen, was „Sibirisch für Anfänger“ oft einen dokumentarischen Eindruck verleiht. Und wie gute Dokumentarfilme, ermöglicht auch „Sibirisch für Anfänger“ Einblicke in eine fremde, unbekannte Welt. Jenseits der Lakonie und des Witz, der die einzelnen Episoden auszeichnet, ist es gerade dieser fast schon ethnologische Blick auf eine Region, ihre Menschen und Landschaft, die den Reiz des Films ausmacht. Nicht zuletzt, weil hier ein Teil Russlands gezeigt wird, der weit vom europäischen, slawisch geprägten Teil des Landes entfernt ist.

 

Michael Meyns