The Congress

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In seinem schillerndem Sciencefiction „The Congress“ zeigt Ari Folman unterhaltsam und beunruhigend zugleich die Manipulation von Gefühlen und Wahrnehmung durch die Auswüchse der digitalen Welt. Ein wahrer Geniestreich des israelischen Regisseurs, der nach seinem preisgekrönten dokumentarischen Zeichentrickfilm „Waltz with bashir“ mit einer Mischung aus klassischem Schauspiel und Animation besticht. Inspiriert vom Meister des literarischen Science Fiction Romans, dem polnischen Schriftsteller Stanislav Lem und seinem Klassiker „Der futurologische Kongress“, gelingt es ihm trefflich, den ironisch-philosophischen Geist der Lemschen Phantastereien auf die Leinwand zu transportieren. Vor allem Harvey Keitel brilliert als zynischer Schauspielagent.

Webseite: www.pandorafilm.de

Israel / Deutschland / Polen / Luxemburg / Frankreich / Belgien 2013
Regie: Ari Folman, Yoni Goodman
Drehbuch: Ari Folman
Kamera: Michal Englert
Darsteller: Robin Wright, Harvey Keitel, Danny Huston, Paul Giamatti, Jon Hamm, Michael Stahl-David
Länge: 122 Minuten
Verleih: Pandora Filmverleih
Kinostart: 12.9.2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Als der israelische Regisseur Ari Folman vor fünf Jahren zum Filmfest nach Cannes eingeladen wird, kommt er als Unbekannter und geht als Held: Seine bitter grelle Animationsdoku „Waltz with Bashir“ gegen das Vergessen traumatischer Kriegserlebnisse fesselt Publikum und Kritik gleichermaßen. Nun landet der 50jährige seinen nächsten Coup. Scheinbar mühelos schöpft er aus dem Kosmos des großartigen Science Fiction Autors Stanislav Lem seine grotesk-utopischen Ideen. Dabei entsteht eine knallharte Parodie auf die künstlichen Paradiese amerikanischer Filmindustrie gespickt mit Zynismus und surrealen Wahrheiten.

„Du hattest alles, du warst mit 24 Jahren eine Kinogöttin, versucht Schauspielagent Al (Harvey Keitel) seiner Klientin einen einmaligen Deal schmackhaft zu machen, „alle großen Studios waren hinter dir her“. Denn für die inzwischen über 40jährige Robin Wright (Robin Wright) gibt es in Hollywoods Glitzerwelt nur noch wenig Verwendung. Das Studio Miramount jedoch will die einst erfolgreiche Schauspielerin scannen, sie digital verfügbar machen. Die Person aus Fleisch und Blut braucht keiner mehr. „Wir retten dich vor dir selbst“, verspricht Studioboss Jeff Green (Danny Huston). Denn der Faustische Pakt, der ihr verbietet jemals wieder in Filmen oder auf der Bühne aufzutreten, verspricht ein kleines Extra: Sie bleibt ewig jung in ihren kommenden Filmen.

Für den Verkauf ihres Star-Images bekommt die Mutter eines kranken Sohns eine astronomische Summe. Damit, so hofft sie, kann sie seine seltene Erbkrankheit heilen lassen, ihn vor Blindheit retten. Die Szene, in der sie eingescannt wird und zum Avatar mutiert, zählt zu den emotionalen Höhepunkten des Films. Schutzlos steht die verunsicherte Frau in einem riesigen futuristischen Käfig. Ihr Agent Al erzählt ihr seine Geschichte und gesteht ihr dabei seine Liebe, um ihr die nötigen Gefühlsregungen zu entlocken. Sie schwankt zwischen Glück und Angst hin und her. Dabei wirkt sie vollkommen nackt. Der Zuschauer hat den Eindruck, ihr bis in die Seele zu blicken.

Bald danach beginnt der Wechsel vom Realismus in die Animation. Zwanzig Jahre später ist die echte Robin Wright nur noch eine anonyme Frau in ihren Sechzigern. Als Zeichentrickfigur besucht sie die von Miramount Studios gebaute Fantasiewelt, bevölkert von bizarren Kreaturen und Halbwesen aller Art. Dort trifft sie auf ihren Animator Dylan Truliner (Jon Hamm), der sie all die Jahre in Miramounts Computern erschaffen hat. Zusammen versuchen sie dem chaotisch, halluzinatorischen Universum von Miramount Nagasaki und seinem psychodelischen Horrortrip zu entkommen. Denn inzwischen will das Studio Robin Wright in ein Phantasiewesen verwandeln, das als chemische Droge eingenommen wird.

Wer will kann damit in eine animierte Welt eintauchen, jeder kann sein wer immer er möchte, kann reich und berühmt sein. Damit entfesselt Regisseur Folman einen surrealen Leinwandrausch, der jede Realität und sämtliche Bewußtseinzustände aufsaugt. Sein Abstieg ins verwirrend, abstruse Labyrinth erinnert streckenweise an die optischen Fieberträume von David Cronenbergs „Naked Lunch“. Gleichzeitig treibt er die verzweifelte Suche von Menschen nach Identität und Sinn ähnlich, wie in der bizarren Tragikkomödie „Beeing John Malkovich“, in schwindelerregende Höhen. Inmitten seines schillernden Fantasy-Opus spiegelt Charakterdarsteller Harvey Keitel mit seinem beruflichen Credo „Hollywood ist nur ein Mythos“ glaubwürdig das trügerische Vexierspiel. Zweifellos bilden unangepasste Überzeugungstäter wie der gebürtige New Yorker das Rückgrat der Traumfabrik.

Luitgard Koch

Eine Zukunftsvision, wie sie im Buche steht. Die Digitalisierung ermöglicht Verfremdungen, Verschönerungen, visionäre Vorstellungen, Betrügereien, Phantasiegebilde, wie sie früher nie hätten erdacht werden können. In diese zugleich bereichernde wie erschreckende Region dringt der Film vor.

Die bekannte Hollywood-Diva Robin Wright erhält ein finanziell verlockendes Angebot: Ihr Körper, ihr Leben, ihre einzelnen Glieder werden eingescant, und aus diesen Elementen können für künftige Filme Figuren, Situationen, Rollen, Vorgehensweisen und Macharten beliebig gewonnen und zusammengesetzt werden. Frau Wright kann sich zurücklehnen, bleibt aber als Actrice voll erhalten.

Die einzige Bedingung: Sie darf keine andere Rolle mehr annehmen und keinen Einspruch erheben.

Nach langem Zögern akzeptiert und unterzeichnet sie den Vertrag. Damit tritt sie in eine – animierte – fremde, alles, Glück und Unglück, Reales und Irreales, Freude und Leid ermöglichende Welt ein. (Sie vermisst zum Beispiel schmerzlich ihre beiden Kinder, ein schwerer kaum zu überwindender Schlag für sie.)

Jetzt kann Autor und Regisseur Ari Folman („Waltz With Bashir“) sich austoben. Er bezieht sich auf Passagen eines Romans des bekannten Sci-Fi-Autors Stanislaw Lem über die Macht riesiger chemischer Konzerne sowie die Macht des Kommunismus; er ist entsetzt, dass in Hollywood die erwähnten Scan-Einrichtungen längst bestehen; er befürchtet, dass in Zukunft die virtuellen Machenschaften über die guten alten Kinofilme die Oberhand gewinnen könnten; und er demonstriert – indirekt und direkt – all dies mit einem phantastischen Animationsfilmteil von Märchen, Phantasie und möglicher Zukunftswelt.

Bis zur Rückkehr Robin Wrights in die Wirklichkeit.

Eine Mischform, ein sehenswertes Experiment, der Versuch einer Vision, so etwas wie ein Faszinosum.

Robin Wright – früher Robin Wright-(Sean)Penn – ist die absolut richtige charismatische Schauspielerin für die Hauptrolle. Harvey Keitel, Danny Huston oder Paul Giamatti unterstützen sie vorzüglich.

Thomas Engel