The Railway Man

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Eine wahre Geschichte über Schuld und Vergebung. Ein Bestseller als Vorlage. Eine exzellente Besetzung – das sind allemal beste Zutaten für grandioses Kino. Colin Firth gibt den britischen Weltkriegs-Veteranen, der Jahrzehnte später noch unter den Folgen der Folter in japanischer Kriegsgefangenschaft leidet. Als das traumatisierte Opfer seinen Peiniger von einst ausfindig macht, will es späte Rache. Der skrupellose Schinder ist mittlerweile jedoch geläutert und stellt sich seiner Schuld: Die Karten der Moral sind somit neu gemischt. Das zeitlose Klassiker-Thema präsentiert sich als packendes Drama, das souverän auf Gefühle setzt, ohne je zur pathetischen Klischeenummer zu verkommen. Ein legitimer "Die Brücke am Kwai"-Nachfolger mit Colin Firth und Stellan Skarsgård in Bestform.

Webseite: www.studiocanal.de/kino

GB / Australien 2013
Regie: Jonathan Teplitzky
Darsteller: Colin Firth, Nicole Kidman, Stellan Skarsgård, Jeremy Irvine
Filmlänge: 116 Minuten
Verleih: Studio Canal
Kinostart: 2. April 2015
 

FILMKRITIK:

Im Veteranen-Club von Bristol brütet Eric Lomax (Colin Firth) wieder einmal über Fahrplänen, seine große Leidenschaft gilt schon immer der Eisenbahn. Das enorme Wissen über die richtigen Anschlüsse verschafft Eric alsbald auch den Anschluss zu einer attraktiven Mitreisenden (Nicole Kidman) im Zug nach Schottland. Aus einer kleinen Auskunft im Abteil entsteht ein flotter Flirt, wenig später läuten die Hochzeitsglocken. Schon kurz nach der Vermählung jedoch wird der Held von Dämonen der Vergangenheit heimgesucht. Erinnerungen an seine japanische Kriegsgefangenschaft vor 40 Jahren werden wach, schmerzverkrümmt wälzt er sich am Boden, die Braut reagiert schockiert. Dass Eric sein Trauma zum Tabu erklärt, will seine frisch Angetraute als gelernte Krankenschwester nicht akzeptieren. „Wir können so nicht leben“ klagt sie, doch vergeblich. Erst in Erics Freund Finlay (Stellan Skarsgård) findet Patricia einen Verbündeten, der ihr erzählt, was sich anno 1942 in Singapur zugetragen hat.
 
Nach seiner Kapitulation gerät ein britisches Regiment in japanische Kriegsgefangenschaft und soll unter schwierigsten Bedingungen im Urwald die Bahnstrecke zwischen Burma und Siam bauen – jene Route entlang des River Kwai, den auch David Lean einst für sein Unbeugsamen-Epos nutzte. „Wir sind keine Sklaven, wir sind Soldaten“, meutern die Briten, doch die Japaner zeigen sich gnadenlos und treiben den Bau der Eisenbahn mit allen Mitteln voran. Als bei den Gefangenen ein heimlich zusammengebasteltes Radio gefunden wird, spitzt sich die Lage dramatisch zu. Um seine Kameraden zu schützen, übernimmt Lomax allein die Verantwortung für die Aktion. Seinen Mut bezahlt der Soldat mit brutalen Prügeln durch einen sadistischen Aufseher. Und das ist erst der Beginn eines langen Martyriums, bei dem sich ein Übersetzer als teuflischer Folterknecht entpuppt. Das Repertoire der Qualen reicht von Waterboarding über das Einsperren im engen Käfig bis zum Zertrümmern der Beine. Das Überleben verdankt Lomax in letzter Minute der Landung von amerikanischen Fallschirmjägern, die das Lager befreien. Sein Peiniger entgeht der Verurteilung, indem er sich geschmeidig den neuen Machthabern als Übersetzer andient.
 
40 Jahre später stößt Erics einstiger Kamerad Finlay zufällig auf einen Zeitungsartikel, in dem der Quäler von damals abgebildet ist. Der Freund fordert Vergeltung. Aber Eric zögert, er will seine neue Liebe nicht gefährden. Nach einer dramatischen Aktion des enttäuschten Finlay bricht Eric schließlich doch nach Asien auf, um seine Rache-Mission durchzuführen. Er findet den Täter im Straflager von einst, das mittlerweile ein Kriegsmuseum ist: Vergeltung oder Vergebung, das ist hier die Frage...
 
Der Australier Jonathan Teplitzky („Burning Man“) verfilmt den autobiografischen Bestseller von Eric Lomax mit psychologischer Präzision als gelungene Mischung aus konventioneller Lovestory und bewegendem Kriegsdrama. Der dramaturgische Trick mit regelmäßigen Rückblenden funktioniert erstaunlich gut. Die atmosphärisch dichte Inszenierung des Eisenbahn-Baus im Dschungel bietet pompöse Schauwerte mit Elefanten und Knochenarbeit in Schlamm und Dreck. Bei den brutalen Folterszenen blendet die Kamera nicht weg, gleichwohl geraten die Quälereien nicht zum reißerischen Spektakel, sondern erfüllen, souverän dosiert, ihren dramaturgischen Zweck ohne das Publikum zu überfordern.
 
Als ganz großer Bonus erweist sich die Besetzung. Colin Firth und Stellan Skarsgård geben mit charismatischer Grandesse die gebrochenen Helden, die mit kleinen Gesten statt großem Getue eine grandiose Vorstellung bieten, die unter die Haut geht. Selbst die Kidman, die mit ihrem unterirdischen Seifenopern-Auftritt in „Grace of Monaco“ ein furioses Fiasko erlebte, vermag hier als graue Maus durchaus überzeugen. Eine überragende Leistung bietet die Steven Spielberg-Entdeckung Jeremy Irvine („Gefährten“), der den jungen Eric Lomax mit eindrucksvoller Sensibilität zwischen Würde, Wut und schierer Verzweiflung verkörpert. Nach dieser brillanten Vorstellung kann man auf seine kommende Hauptrolle in Roland Emmerichs „Stonewall“ allemal gespannt sein. Da dessen ambitionierte Schwulendrama gute Chancen auf Oscar- und Berlinale-Rummel haben dürfte, mag es nicht unklug sein, wenn der „Railway Man“ hierzulande erst danach mit reichlich Verspätung einfährt.
 
Dieter Oßwald