Three Thousand Years of Longing

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Eine Literaturwissenschaftlerin und ein Djinn treffen sich und beginnen, einander ihre Geschichten zu erzählen. Das ist die Basis von George Millers neuem Film „Three Thousand Years of Longing“, der auf wundersame Weise von der Macht und der Bedeutung des Geschichtenerzählens erzählt. Weil ein jeder eine Geschichte ist, und jede dieser Geschichten nur ein Steinchen in einem niemals endenden Mosaik.

Webseite: https://www.leoninedistribution.com/filme/161006/three-thousand-years-of-longing.html

USA / Australien 2022
Regie: George Miller
Buch: George Miller, Augusta Gore
Darsteller: Tilda Swinton, Idris Elba

Länge: 108 Minuten
Verleih: Leonine
Kinostart: 1. September 2022

FILMKRITIK:

Alithea (Tilda Swinton) kommt nach Istanbul, um über ihre literarische Forschung zu sprechen. In einem kleinen Laden kauft sie eine Flasche. Als sie diese in ihrem Hotelzimmer öffnet, erscheint der Djinn (Idris Elba), der ihr drei Wünsche offeriert, die gewissen Regeln folgen müssen. Alithea kennt die Literatur und die in ihr erhobenen Warnungen über derlei Wünsche, die mit einem Haken einhergehen. Also wieso sollte sie sich etwas wünschen? Weil der Djinn, um frei zu sein, diese drei Wünsche erfüllen muss. Er beginnt ihr zu erzählen, wie er das erste Mal in einer Flasche landete. Und sie erzählt ihm, wer sie ist. Dabei kreisen beide umeinander, denn letztlich sind es drei Wünsche, die gesprochen und erfüllt werden müssen …

George Millers erster Film seit „Mad Max: Fury Road“ basiert auf A.S. Bryants Novelle „The Djinn in the Nightingale’s Eye“ aus dem Jahr 1994, einer intertextuellen Geschichte, die einer Collage gleich Motive von Märchen aufgreift, aber auch die Werke von Geoffrey Chaucer und William Shakespeare sowie das Epos von Gilgamesch referenziert. Eine Geschichte, die Miller sehr angesprochen haben muss, denn schon in den frühen 2000er Jahren wollte er sie adaptieren. Doch dann starb Nick Enright, mit dem er das Skript schreiben wollte. Vor seinem Tod empfahl Enright ihm noch, es zusammen mit seiner eigenen Tochter Augusta Gore zu schreiben. Das taten sie auch – im Lauf der Jahre.

Der in Sydney und in Istanbul gedrehte Film greift so wie die Novelle auch Motive von „Eine Geschichte aus 1001 Nacht“ auf, geht dabei aber ganz eigene Wege. Der Film ist im Grunde ein Kammerspiel, aber eines, das den Zuschauer an längst vergangene Orte führt, wenn der Djinn von seiner ersten Liebe und Einkerkerung, aber auch von seiner zweiten Inhaftierung, und schließlich von seiner dritten erzählt. Es sind brillante Vignetten, die Miller hier bietet, kurze Geschichten mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende, immer umrahmt von der sonoren Stimme Idris Elbas als Erzähler. Die Bilder, die Miller hier mit seinem wie schon bei „Mad Max: Fury Road“ für ihn aus dem Ruhestand zurückgekehrten Kameramann John Seale einfängt, sind von traumwandlerischer Schönheit. Die Geschichte ist gänzlich anders, aber man fühlt sich ob der imposanten Visualität an Tarsem Singhs „The Fall“ erinnert.

Einer genauen Einordnung entzieht sich der Film allemal. Natürlich ist er Fantasy, ebenso ist er aber auch die Geschichte eines Liebenden, eines die Menschen Liebenden, und mehr noch ist es die Geschichte zweier verwandter Geister, die Raum und Zeit zu diesem Moment geführt hat, an dem sie sich kennen lernen.

Die Intertextualität der Novelle ist auch in Millers Film zu finden. Er wird umso reicher, je mehr man die Motive erkennt, mit denen er spielt, während er davon erzählt, dass Geschichten der Treibstoff der Menschheit sind und es schon immer waren. Als die Menschen sich die Naturgesetze noch nicht erklären konnten, waren es Geschichten, die den Kontext lieferten, mit sagenhaften Figuren, die einst von jedem verehrt wurden, aber an Bedeutung verloren, je aufgeklärter der Mensch wurde. So geht es auch um die Macht der Geschichten – einerseits, um zu beeinflussen, andererseits, um zu erinnern. Die Götter von einst sind heute vor allem die Figuren von Geschichten geworden.

Aber es sind nicht nur die Götter, es sind auch die Menschen, die geboren werden, leben, sterben, vergessen werden. Und doch: Ihre Geschichten zählen. Sie sind Teil des gewaltigen, niemals endenden Mosaiks, aus dem die Welt geformt ist. Geschichten, ohne die das Ganze unvollständig wäre, Geschichten wie „Three Thousand Years of Longing“, die die Seele berühren und mit der Macht des Erzählens auch diejenigen verändern, die zuhören.

 

Peter Osteried