Tides

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Die Messlatte für Tim Fehlbaum liegt hoch: Gleich mit seinem ersten Film „Hell“ gelang ihm ein für deutsche Verhältnisse erstaunlich überzeugendes Stück Genre-Kino, das recht erfolgreich im Kino lief und für sechs deutsche Filmpreise nominiert war. Zehn Jahre später legt er nun mit „Tides“ einen weiteren Genrefilm vor, der diesmal vor allem stilistisch überzeugt.

Website: https://www.constantin-film.de/kino/tides

Deutschland/ Schweiz 2021
Regie: Tim Fehlbaum
Buch: Tim Fehlbaum, Mariko Minoguchi, Jo Rogers, Tim Trachte
Darsteller: Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina, Sope Dirisu, Sebastian Roché, Joel Basman
Länge: 110 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 26.8.2021

FILMKRITIK:

Zwei Generationen ist es her, dass ein kleiner Rest der Menschen die Erde verlassen hat, um auf einem anderen Planeten Exil zu finden. Umweltzerstörung, Kriege und Pandemien hatte den Heimatplaneten unbewohnbar gemacht, doch nun sollen bemannte Missionen feststellen, ob sich die Lage geändert hat. Ein erstes Raumschiff mit dem Namen Ulysses 1 ist verschollen, ein anderes gerade unterwegs. An Bord: Die Astronautin Blake (Nora Arnezeder), deren Vater mit an Bord der Ulysses 1 war und scheinbar verschollen ist.

Doch die Landung auf der Erde verläuft unsanft, mitten in einer desolaten Wattlandschaft findet sich Blake plötzlich wieder, umgehen von nichts als Nebel, Wasser und Matsch. Bis plötzlich seltsame Nomaden auftauchen, die in unterschiedlichen Sprachen sprechen, sich Muds nennen und mit anderen Stämmen blutige Konflikte ausfechten. Bald stößt Blake sogar auf Überlebende der Ulysses 1-Mission, doch ausgerechnet ihr Vater ist angeblich verstorben. Nur langsam beginnt sie zu durchschauen, welches Spiel gespielt wird.

So langsam Blake realisiert, was es mit dem nur vorgeblich freundlichen Gibson (Iain Glen) auf sich hat, der die Fäden des Konflikts zwischen den Stämmen in der Hand zu haben scheint, so schnell durchschaut der Zuschauer das Geschehen. Hat man schon mal den ein oder anderen postapokalyptischen Endzeit-Film von „Mad Max“ über „Waterworld“ bis „The Road“ gesehen oder ein wenig in eine der unzähligen Serien zum Thema reingeschaut, die Netflix, Amazon oder einer der anderen Streaming-Dienste geradezu im Wochentakt veröffentlichen, dann kennt man auch die Geschichte von „Tides“.

Das Tim Fehlbaum und seine Co-Autorin Mariko Minoguchi (die vorletztes Jahr mit ihrem eigenen Debütfilm „Mein Ende, Dein Anfang“ begeisterte) sich in bekannten Gefilden bewegen, sich hier einen Einfall borgen, dort eine Inspiration hernehmen, ist bei diesem Genre kaum zu vermeiden. Bedauerlicher ist, wie wenig durchdacht die Welt wirkt, von der in „Tides“ erzählt werden soll. Was für eine Katastrophe das gewesen sein soll, die offenbar kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hat, so dass die wenigen Überlebenden in Hütten auf dem Wattenmeer oder baufälligen Ruinen hausen, hätte man ebenso gerne erfahren, wie eine eine Erklärung für das seltsame Sprachgemisch, das offenbar in kaum 60 Jahren die Lingua Franca Englisch verdrängt hat.

Vieles bleibt im Ansatz stecken, die Figurenverhältnisse werden angedeutet, aber nicht ausgebaut, ökologische Themen spielen ein bisschen eine Rolle, aber nicht wirklich, mehr als eine Variation inzwischen allzu bekannter Sujets hat „Tides“ inhaltlich nicht zu bieten. Doch zumindest visuell ragt er deutlich über den Standard des deutschen Kinos hinaus. In markanten Ruinen und einem nachgebauten Wattenmeer wurde gedreht, Sets, die vom Hollywood erfahrenen Kameramann Markus Förderer in stimmungsvolle Bilder eingefangen werden. Zumindest in stilistischer, atmosphärischer Hinsicht kann sich Tim Fehlbaums „Tides“ mit internationaler Konkurrenz messen.

Michael Meyns