Was dein Herz dir sagt – Adieu, ihr Idioten

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Eine gelungene Satire auf die moderne Welt mit einem Hauch von Bonnie & Clyde, ein Road Movie steckt auch noch drin und eine Buddystory mit ein paar Slapstick-Elementen um drei vollkommen gegensätzliche Personen, die das Schicksal zusammenbringt: die Friseurin Suze, der IT-Nerd JB und der blinde Archivar Blin. Zu dritt machen sie sich auf die Suche nach Suzes verlorenem Sohn, verfolgt von der Polizei und von dem Wissen, dass sie eigentlich Versager sind.
Die erfreulich durchgeknallte Tragikomödie ist vieles, z. B. ziemlich anspruchsvoll, aber eines ganz gewiss nicht: langweilig. Virginie Efira („Birnenkuchen und Lavendel“) führt das brillante Darstellerensemble an, Albert Dupontel als JB und Nicholas Marié als Blin sind ihre Partner in einem gagreichen Film voller Überraschungen, mit prachtvoll coolen Dialogen und vielen wunderbar fiesen, kleinen Details. Dafür gab es einen regelrechten Preisregen bei der César-Vergabe u. a. für Regie, Drehbuch und den Film insgesamt.

Webseite: https://happy-entertainment.de

Adieu les Cons
Regie und Drehbuch: Albert Dupontel
Darsteller: Virginie Efira, Albert Dupontel, Nicolas Marié, Jackie Berroyer
Kamera: Alexis Kavyrchine

Musik: Christophe Julien
Länge: 87 Minuten
Verleih: Happy Entertainment

FILMKRITIK:

Zu viele Dauerwellen, zu viel Haarspray … Suzes Lungen sind kaputt von der Arbeit als Friseurin. Die Aussicht, nicht mehr viel Zeit zu haben, weckt in Suze das Bedürfnis, ihren Sohn wiederzufinden, den sie vor mittlerweile 28 Jahren zur Welt brachte und gleich nach der Geburt zur Adoption freigeben musste. Sie war erst 15, ein Mädchen mit Rastalocken, sehr fröhlich und sehr verliebt. Bevor sie stirbt, möchte Suze noch einmal ihren Sohn sehen. Theoretisch ist das natürlich kein Problem, wenn da nicht die Bürokratie wäre, die in Frankreich offenbar über ganz besonders hübsch wiehernde Amtsschimmel verfügt. Zufällig gerät sie dabei in das benachbarte Büro von JB, der als IT- und Sicherheitschef im Gesundheitsministerium in seiner Computerklause arbeitet, zufällig Wand an Wand mit dem Sachbearbeiter, den Suze anfleht, ihr möglichst schnell zu helfen, den Verbleib ihres Sohnes zu recherchieren.

Wie sich Suze und JB kennenlernen, soll hier ebenso ein Geheimnis bleiben wie die Geschichte ihrer Begegnung mit dem blinden Monsieur Blin, der eigentlich das Archiv im Gesundheitsministerium verwaltet, aber lieber mit anderen Menschen zusammen wäre, denen er helfen kann, als mit irgendwelchen alten, verstaubten Akten. Nur so viel: Das Schicksal oder der Zufall oder beides führt die drei zusammen, und auch wenn sie zwischendurch immer mal wieder getrennt werden: Die Drei können sich aufeinander verlassen, egal ob bei der Flucht vor der Polizei oder bei der Jagd nach Informationen über Suzes Sohn.

Was Albert Dupontel veranstaltet, um Suze und JB als Charaktere einzuführen, ist ganz großartig – sehr witzig und sehr intelligent. Die beiden sind sich nämlich in gewisser Weise ähnlich, auch wenn sie es nicht wissen und vielleicht nie erfahren werden. Beide haben einen Familiennamen, den sich offenbar keiner merken kann. Womöglich weil sie beide einfach nicht interessant genug für andere sind? Und beide neigen zu Übersprungshandlungen und zu Kurzschlussreaktionen: Suze rennt aus dem Sprechzimmer, bevor der Arzt ihr die endgültige Diagnose liefert, und JB läuft aus dem Büro seines Chefs, ehe der ihm sagen kann, ob er tatsächlich entlassen ist. Beide sind auf ihre Weise allein, nicht im Sinne eines einsamen Rufers in der Wildnis, sondern auf eine eher tragische Art. Suze hat einiges hinter sich, JB zu wenig. Jedenfalls haben diese beiden Menschen nie so richtig ihren Platz in der Welt gefunden. Aber was ist das überhaupt für eine Welt?

Albert Dupontel zeigt ein Land, das hoch technisiert und digital vernetzt ist – und unfähig, damit umzugehen. Dabei schreckt er vor praktisch nichts zurück, um zu demonstrieren, wie sehr der Irrsinn und die Verfehlungen einer herzlosen Gesellschaft, aufgebaut auf der Herrschaft der Bürokratie, bereits gediehen sind. Bis in den letzten Winkel werden sämtliche Menschen von Suchmaschinen, Datensammlungen und Kameras erfasst. Doch nichts funktioniert, wie es soll. Dieses Frankreich – Ähnlichkeiten mit anderen Ländern sind natürlich rein zufällig! – ist ebenso kalt wie obrigkeitshörig, angefüllt mit einsamen Menschen, die in der Anonymität des Alltags nur noch an sich selbst denken. Es scheint beinahe, als ob Suze und ihre beiden Gefährten die einzigen in einer Welt von Idioten und Ignoranten sind, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben. Sie schliddern auf ihrem gemeinsamen Weg ins Unbekannte von einer absurden Situation in die nächste, was schiefgehen kann, geht dann auch verlässlich schief, und das ist alles zusammen ganz zauberhaft und dabei gelegentlich richtig fies, und die Handlung entwickelt sich so wunderbar komisch und gleichzeitig so traurig, so unwahrscheinlich und doch irgendwie glaubhaft, dass es nur so seine Bewandtnis hat. Alors!

Gaby Sikorski