Alle Katzen sind grau

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Eine äußerst emotionale Ausnahmesituation muss der belgische Starschauspieler Bouli Lanners in „Alle Katzen sind grau“ durchleben, einer Mischung aus Familiendrama, Komödie und Coming-of-Age-Anleihen. Als innerlich zerrissener Detektiv soll er den leiblichen Vater der 16-jährigen Dorothy ausfindig machen - wohlwissend, dass die aufgeweckte Pubertierende seine Tochter ist, die er seit langem schon beobachtet. Drohungen ihrer Mutter sorgen jedoch dafür, dass sich Paul ihr nicht öffnen darf. Das Spielfilmdebüt „Alle Katzen sind grau“ ist eine emotionale Tour-de-Force, die ihren zumeist leisen, lakonischen Humor dennoch wohl dosiert einsetzt. Zudem erstaunt der Film mit unvorhersehbaren, teils krassen Wendungen. Ein mutiges Ausnahmedebüt.  

Webseite: www.filmkinotext.de
Facebook: www.facebook.com/allekatzensindgrau

Belgien 2015
Regie: Savina Dellicour
Drehbuch: Savina Dellicour, Matthieu de Braconier
Darsteller: Manon Capelle, Anne Coesens, Dune de Braconier,
Danièle Denie, Alain Eloy, Bouli Lanners
Länge: 85 Minuten
Verleih: film kino text, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 31. März 2016
 

FILMKRITIK:

Paul (Bouli Lanners) ist ein Privatdetektiv Ende 40, der sich mit Gelegenheitsaufträgen über Wasser hält. Die meiste Zeit des Tages ist er jedoch damit beschäftigt, die 16-jährige Dorothy (Manon Capelle) von Weitem zu beobachten. Diese ist seine Tochter, entstanden aus einer flüchtigen Affäre. Dorothy weiß nicht, wer ihr richtiger Vater ist. Sie weiß nur: der Mann ihrer Mutter Christine (Anne Coesens) kann es nicht sein. Eines Tages lernen sich Dorothy und Paul besser kennen und der Teenager ist fasziniert vom ungewöhnlichen Beruf des Privatdetektivs. Es dauert nicht lange und sie kommt auf die  naheliegende Idee, ihn zu engagieren, um ihren biologischen Vater zu suchen. Eine schwierige Situation für alle, denn Christine will unter keinen Umständen, dass ihre Tochter die wahre Identität des Vaters kennt und das (konstruierte) Familienidyll dadurch zerstört wird.

Die Hauptrolle in „Alle Katze sind grau“ spielt der belgische Schauspielstar Bouli Lanners, der zu den bekanntesten Darstellern seines Landes zählt. Optisch ist er eine Art belgische Variante von Gérard Depardieu und war auch bereits in internationalen Großproduktionen wie „Asterix & Obelix“ (2012) und im deutschen „Tatort“ zu sehen. „Alle Katzen sind grau“ wurde inszeniert von Savina Dellicour, die hiermit ihr Spielfilmdebüt gibt. Der Film wurde für anderthalb Millionen Euro produziert und vereint die Genres (Familien-)Drama, Komödie und Coming-of-Age.

Im Zentrum des Films steht die außergewöhnliche Beziehung von Paul und Dorothy, die mit seiner Hilfe endlich ihren Erzeuger finden will. Nicht ahnend, dass er sich die ganze Zeit vor ihrer Nase befindet. Es kommt dabei immer wieder zu komischen Situationen, und man leidet förmlich mit Paul, da dieser sich seiner Tochter so gerne offenbaren würde. Es aber nicht darf, da ihm Christine mit rechtlichen Schritten droht, falls er die wahren Familienverhältnisse vor Dorothy offenbaren würde. Bouli Lanners legt seinen Paul als herrlich lakonischen, leicht brummbärigen (Über-)Lebenskünstler mit Hang zu alkoholischen Getränken an, der sich doch eigentlich nur nach der Wahrheit und einer Familie sehnt.

In darstellerischer Hinsicht in nichts nach steht ihm die junge Manon Capelle als schlagkräftige, intelligente Dorothy, die nicht nur die Wirren der Pubertät zu bewältigen hat sondern auch recht bald merkt, dass die häusliche Familienidylle nur Fassade und der Mann ihrer Mutter tatsächlich gar nicht ihr wahrer Vater ist. Zusammen geben Paul und Dorothy ein sympathisches Team ab, deren Miteinander oft von tiefer Melancholie und warmherzigen Szenen geprägt ist. Beide leiden sehr unter den schwierigen Umständen, der Unsicherheit und der emotionalen Schieflage, in der sie sich befinden.  Es dauert nicht lange und Paul nimmt Dorothy ein Stück weit unter seine Fittiche und lässt sie sogar an seinem Berufsalltag teilhaben. Dies weckt durchaus Erinnerungen an Natalie Portman und Jean Reno in „Léon – der Profi“, wie sie als ungleiches Duo (tragi-)komische Momente gemeinsam durchleben.

Überhaupt hält der Film sehr gekonnt und ausbalanciert die Waage zwischen Tragik und Heiterkeit. Überwiegen in der ersten Filmhälfte noch die komischen Szenen, so ändert sich das mit der zweiten, spätestens wenn es zu einer ersten überraschenden Wendung im Film kommt, die Paul – in einer der besten, weil befreiendsten Szenen – nur dadurch verdauen kann, indem er sich bei einem Konzert volllaufen lässt und sich anschließend mitten ins sich wild hin- und her schubsende, aggressive Rock-Publikum vor der Bühne wirft. Bei jedem Zuschauer wird diese Szene andere Reaktionen hervorrufen: entweder lautes Gelächter oder Nachdenklichkeit ob Pauls radikaler Verhaltensweise. Eine weitere unerwartete, unvorhersehbare Wende – gleichsam ein bitteres Geständnis und eine längst verdrängte Wahrheit – sorgt am Ende dann noch für eine echte Überraschung.

„Alle Katzen sind grau“ ist ein beeindruckendes, hochemotionales Debüt, das sich auch durch den Mut der Regisseurin auszeichnet, die Erwartungshaltungen der Zuschauer gekonnt zu unterlaufen und mit teils schwer zu verdauenden Handlungsbrüchen zu verblüffen.

Björn Schneider