Anomalisa

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Nur selten wird ein Film derart einhellig und euphorisch gefeiert. Mit 92 Punkten auf der berühmten „Metacritic.com“-Plattform bekam das Werk traumhafte Spitzenwerte. Dabei ist die Story denkbar schlicht und statt Schauspielern gibt es nur ein paar Puppen. Um daraus ein derart bewegendes Drama über das Leben, die Liebe und den Sinn des Seins zu zaubern, bedarf es eines Ausnahmetalents wie Charlie Kaufman. Er schickt seinen melancholischen Mini-Helden Michael, den erfolgreichen Autor, in ein schickes Hotel. Dort trifft er auf die schüchterne Lisa. Und alsbald ist nichts mehr, wie es einmal war. So klug wie komisch und charmant entwickeln sich in diesem niedlichen Mikrokosmos ziemlich existenziellen Fragen. Kino-Magie der verblüffenden Art.

Webseite: www.facebook.com/anomalisa.germany

USA 2015
Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson
Synchronsprecher: Frank Röth, Caroline Ebner, Christian Weygand. (OV): David Thewlis, Jennifer Jason Leigh, Tom Noonan
Filmlänge: 90 Minuten
Verleih: Paramount Pictures Germany
Kinostart: 21. Januar 2016
 

Pressestimmen:

"Der melancholische Puppentrickfilm "Anomalisa" von Charlie Kaufman ist ein bezauberndes Kinokunststück über Einsamkeit und Entfremdung."
Süddeutsche Zeitung

FILMKRITIK:

„Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Und Schmerzen zu haben? Was bedeutet es, zu leben?“ – auf solche existenziellen Fragen hat Michael Stone kaum gültige Antworten, auch wenn er im Beruf als Ratgeberautor überaus erfolgreich ist. Das private Glück mit Frau und Kind ist gleichfalls nicht ganz so glänzend wie es scheint, das wird dem Helden einmal mehr bewusst, als er zu einem Vortrag nach Cincinnati reist. Einsam im Business-Hotel entsinnt er sich an eine alte Affäre in der Stadt. Spontan ruft Michael seine verblüffte Ex-Freundin an, die freilich bis heute die Trennung von einst nicht verwunden hat. Zwar lässt sich Bella zu einem Besuch in der Hotelbar überreden, die dortigen Flirtversuche des Motivationstrainers enden jedoch im Fiasko. Die Frustration des gescheiterten Aufreißers wird nicht lange dauern, der Zufall beschert ihm alsbald die Begegnung mit der schüchternen Lisa, die eigens zu seinem Vortrag angereist ist. Michael ist total begeistert und verliebt sich Hals über Kopf in die außergewöhnliche Frau. Weil Lisa, die sich selbst als hässliches Entlein sieht, etwas so ganz Besonderes für ihn bedeutet, wird er sie fortan „Anomalisa“ nennen – und nach einer romantischen Nacht im Hotelbett an Scheidung und ein neues Leben denken.
 
Mit dem Drehbuch von „Being John Malkovich“ gelang Charlie Kaufman anno 1999 der Durchbruch, Kultstatus und Oscar-Nominierung inklusive. Diese Ehre wurde ihm ebenfalls für seine Vorlagen für „Vergiss mein nicht!“ und „Adaptation“ zuteil. Das Talent für schräge, gern verwinkelte Stoffe gefiel auch George Clooney, der dessen „Geständnisse – Confessions of a Dangerous Mind” zum Regiedebüt nutzte. Umso erstaunlicher, dass der erfolgreiche Kreative mit seinem Puppenprojekt in Hollywood auf taube Ohren stieß. Zur Finanzierung musste Kaufman auf Crowfunding zurückgreifen, bevor sich schließlich ein risikofreudiger Produzent fand.
 
Zugegeben, die Story passt auf einen Bierdeckel. Und Puppen aus dem 3-D-Drucker klingen zunächst kaum nach makellos perfekter Stop-Motion-Animation der „Wallace & Gromit“-Liga. Doch Kaufman und Ko-Regisseur Duke Johnson erweisen sich als wahre Magier. So hakelig sich die Mini-Helden bewegen, so spürbar, glaubhaft und präzise fallen ihre Gefühle aus. Die Liebe zum Detail in der kleinen Puppenstube ist grandios: Von der Speckfalte des Helden über die verschämt verdeckte Narbe seiner Freundin Lisa bis zum Geldbeutel, der Michael ständig aus der Hosentasche hängt. Last not least gibt es jene prickelnde Sex-Szene unter Puppen, die Jim Knopf besser erst als Volljähriger sehen sollte.
 
Zur dramaturgischen Trickkiste gehört, dass alle Figuren (natürlich außer dem Liebespaar) nicht nur identisch ausdruckslose Gesichter haben, sondern auch stets mit derselben Stimme sprechen (im Original: Tom Noonan). Dieser kleine Verfremdungseffekt erzielt ganz enorme Wirkung. Denn genau so erlebt der melancholische Held seine Umwelt: Alle Menschen hören sich für ihn gleich an, das Bla-Bla ihrer Sprechblasen verkommt zum chronischen Einerlei. „Fergoli-Syndrom“ nennt die Wissenschaft das Phänomen, bei denen psychisch Kranke glauben, die Menschen ihrer Umgebung wären dieselbe Person in verschiedner Verkleidung – naheliegend, dass das graue Business-Hotel den Namen „Il Fregoli“ trägt.
 
Mit seiner kleinen Geschichte und diesen winzigen Helden gelingt Kaufman ein überraschend bewegender Blick auf große Themen der existenziellen Art. Clever, komisch – schlicht genial!
 
Dieter Oßwald