Café Olympique

Zum Vergrößern klicken

Eine Frau, nicht mehr jung und noch nicht alt, probiert den leisen Ausbruch aus ihrem Leben. Mutig begibt sie sich auf eine Reise ins Ungewisse, die eine Menge Überraschungen für sie bereithält.
Der poetische, kleine Film mit Ariane Ascaride als Heldin wider Willen ist liebenswert witzig, fantasievoll erzählt, schön anzusehen und zusätzlich ein cineastisches Vergnügen: Robert Guédiguian schwelgt in Filmzitaten aus der gehobenen Filmkunst und erlaubt sich einige kühne Scherze, die erst am Ende aufgelöst werden …

Webseite: www.schwarzweiss-filmverleih.de

Originaltitel: Au fil d’Ariane
Frankreich 2014
Regie: Robert Guédiguian
Drehbuch: Robert Guédiguian und Serge Valletti
Darsteller: Ariane Ascaride, Jacques Boudet, Jean-Pierre Darroussin, Anais Demoustier, Youssouf Djaoro
92 Minuten
Verleih: Schwarz Weiss Filmverleih, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 25.12.2014
 

FILMKRITIK:

Ariane wartet auf ihre Geburtstagsgäste – doch statt selbst vorbeizukommen, sagt einer nach dem anderen ab und schickt Blumen. So entschließt sich Ariane, einfach abzuhauen, setzt sich in ihr Auto und fährt nach Marseille, ans Meer. Der Zufall bzw. das Schicksal führt sie schließlich ins Café Olympique, ein Strandbistro, wo originelle Menschen arbeiten, die noch originellere Menschen bewirten. Nur kurz ist Ariane irritiert, dann hat sie sich schon eingewöhnt. Sie arbeitet als Kellnerin für busreisende Rentner, hilft einem liebeskranken Pärchen und einem leidenden Andenkenverkäufer, der sich nach seinem alten Arbeitsplatz sehnt. Sie macht die Bekanntschaft einer Schildkröte, die sprechen kann, und wird immer mutiger: Schließlich erfüllt sie sich sogar ihren Traum, einmal vor Publikum zu singen.
 
Filme über Frauen, die aus dem Alltag ausbrechen, gibt es in großer Zahl, doch dieser hier hat einen ganz eigenen Charme, etwas Besonderes, das ihn aus der Masse heraushebt. Nicht nur, weil er so leicht erzählt ist und ohne Holzhammer und Schulmeisterei auskommt, sondern auch, weil Robert Guédiguian den Spagat zwischen Fantasie und Wirklichkeit wagt und schafft, der hier so etwas ist wie der verständliche Wunsch, mal ein bisschen auszuflippen und fünfe gerade sein zu lassen. Dabei ist es vollkommen irrelevant, ob seine Hauptfigur eine Frau oder ein Mann ist. Möglicherweise hat Guédiguian als Mann einen Frauenfilm gedreht, aber vielleicht hat er auch einen Männerfilm gemacht, in dem zufällig eine Frau die Hauptrolle spielt. Wie dem auch sei: Seine Ariane beweist sich selbst und ihrem Publikum, dass mehr in ihr steckt, als sie selbst glaubt. Sie ist plötzlich imstande, spontane Entschlüsse zu treffen und mit den Folgen klarzukommen, auch wenn sie zwischendurch – weil sie beklaut wurde – wie ein Schachtelteufelchen auf- und niederhüpft. Die bizarren Situationen, in die sie gerät, zeugen von einem erfreulichen Sinn für Albernheit der Autoren  und gleichzeitig vom Willen, in Andeutungen und Gleichnissen zu sprechen. Da wimmelt es von Symbolen, die vielleicht gar keine sind: die Schildkröte, Tierpräparate in einem Museum, Anspielungen auf die Antike...

Doch auch ganz ohne Interpretation bleibt dies eine leicht erzählte Komödie, ein Verwirrspiel mit vorhersehbarem, aber dennoch schönem Schluss. Meist gibt es keine großen Lacher, sondern nur ein feines Schmunzeln. Wie Alice im Wunderland begibt sich Ariane in eine neue Welt, in der vieles anders ist, als sie es kennt, und wo sie sich doch bald zurechtfindet. Und genau wie Alice beginnt sie irgendwann dieser neuen Welt ihren Stempel aufzudrücken. Sie verbreitet Warmherzigkeit, Hilfsbereitschaft und Humor und lernt selbst dazu, ohne wirklich zu merken, was mit ihr geschieht. Zur Untermalung gibt es die wunderbaren Chansons von Jean Ferrat, von denen „La Montagne“ wohl hierzulande das bekannteste ist. Am Ende singt Ariane selbst – in einem Revuekostüm zwischen den Säulen eines antiken Theaters. Und was sie singt, hat mit ihrer Biographie ebenso viel zu tun wie mit ihrem neuen Leben im Wunderland. Es ist „Wie man sich bettet, so liegt man“ von Brecht/Weill, und das ist nicht nur überraschend und überraschend gut, sondern es liegt eine solche lässige Inbrunst in dem Song, als würde die großartige Hauptdarstellerin Ariane Ascaride damit den Film, sich selbst und das Leben an sich erklären. Ariane Ascaride zeigt hier die phänomenale Bandbreite einer Schauspielerin in einer Rolle, die ihr auf den Leib geschrieben scheint. Sie ist Mädchen, Dame und Clown – ein großäugiges Kind, das sich ständig über die Welt wundert, aber auch die weise Frau, der nichts fremd ist.
 
Robert Guédiguians ungewöhnliche Erzählweise hat ebenfalls einen großen Anteil am Reiz dieses Films. Er schlägt augenzwinkernde Kapriolen im Umgang mit Zeit und Raum – die im Nachhinein vollkommen logisch sind. Dabei bleibt er handwerklich genau und lässt sich trotz seiner Freude am Zitat nicht von seinem eigenen Stil abbringen, der einen gewissen pittoresken Charme hat. Das betrifft vor allem das Personal, das seine Filme bevölkert  – ein Kaleidoskop merkwürdiger Leute. Gegen frühere Filme, wie „Schnee am Kilimandscharo“ oder „Eine Liebe in Marseille“ verzichtet er auf offene Sozialkritik, ist spielerischer und zeigt eine angenehm beiläufige Neigung zur Poesie, die sympathisch wirkt und irgendwie sehr französisch. Très bien!
 
Gaby Sikorski

Nach zahllosen sozialrealistischen Dramen (zuletzt „Schnee am Kilimandscharo“) versucht sich Robert Guédiguian nun an einer Mischung aus leichter Komödie und magischem Realismus. Er schildert den Versuch einer Frau in den besten Jahren, aus ihrem Leben auszubrechen und noch einmal neu anzufangen.
 
Ob es ein runder Geburtstag ist erfährt man nicht, doch das es ein besonderer Ehrentag ist, den Ariane (Ariane Ascaride) begeht, merkt man schnell: Die Küche quillt vor gekochtem und gebackenem über, der Tisch gedeckt, selbst an eine prunkvolle Torte hat Ariane gedacht – doch die Gäste bleiben aus. Erst der Liebhaber, dann die Kinder und auch die Freunde rufen an, sprechen entschuldigende Worte auf den Anrufbeantworter, schicken im besten Fall Blumen. Allein bläst Ariane die Kerzen aus und setzt sich in ihr Auto. Nur weg aus ihrer Wohnung im Appartementblock, nur weg vom Leben in eingefahrenen Bahnen. Ohne Ziel fährt sie durch den Süden und landet nach einigen Umwegen im Café Olympique.

Betrieben wird das kleine, traditionelle Lokal vom bärbeißigen Denis (Gérard Meylan), der neben vielen Touristen auch eine ganze Riege skurriler Gestalten bewirtet. Zum Inventar gehört zum Beispiel der so genante „Amerikaner“, ein Franzose namens Jack oder eher Jacques (Jacques Boudet), dazu ein Afrikaner (Youssouf Djaoro), der einst im Naturkundemuseum Nachtwächter war und nun auf das Lokal aufpasst. Für Kundschaft sorgt ein junger Bursche (Adrien Jolivet), der mit seinem Mofa durch die Gegend braust und Kunden anschleppt, wenn er nicht gerade mit seiner Freundin Lola (Lola Naymark) turtelt, die sehr zu seinem Verdruss auch Gelegenheitsprostituierte ist. Komplettiert wird der Reigen durch einen Taxifahrer und deprimierten Theaterregisseur (Jean-Pierre Darroussin), der auf einer Insel vor Marseille, inmitten von antiken Klippen eine Tragödie aufführen möchte und Ariane einen Lebenstraum verwirklicht: Endlich einmal vor Publikum zu singen.

Ohnehin dreht sich in diesem Faden der Ariadne bzw. der Ariane, auf den der treffendere Originaltitel anspielt, alles um Träume, aber auch den Ausbruch aus einem Labyrinth, das oft selbsterschaffen ist. Eine Begegnung führt Ariane zur nächsten, jede Erfahrung lässt sie reifen und tiefer in ihre Psyche eindringen, bis der Traum zu Ende ist. In loser, lockerer Struktur inszeniert Robert Guédiguian diesen Reigen, hält die Handlung auch schon mal für eine ausgelassene Tanzszene an einem Bahnübergang an und schwelgt in der Leichtigkeit des südfranzösischen Lebens, dass er im Lauf seiner inzwischen über 30jährigen Karriere immer wieder beschworen hat.

Meist war er dabei sozialkritisch, porträtierte ganz normale Menschen aus der Arbeiterklasse, die fernab von Paris, dem Herzen Frankreichs, auf ihre Weise leben wollten. Immer zeigt sich auch in „Café Olympique“ diese Sympathie für die einfachen Menschen, doch Guédiguian viel mehr. Eine mal surrealistische, mal magische Atmosphäre sucht er zu evozieren, schreckt selbst vor einer sprechenden Schildkröte als Ratgeber nicht zurück und verliert sich bisweilen in Kitsch und Beliebigkeit. Dass die Lektionen, die vor allem Ariane, aber auch die anderen Figuren im Lauf der 90 Minuten lernen nicht unbedingt von großer Tiefe sind, lässt „Café Olympique“ ein wenig dahinplätschern und macht ihn zu einem Film, der vor allem von seiner Leichtigkeit und seiner Evokation südländischen Lebensfreude lebt.
 
Michael Meyns