Der Schmetterlingsjäger

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Ein Filmessay über Vladimir Nabokov, sein Werk und seine Zeit auf unterschiedlichen Erzählebenen, das sich zwischen biographischen, philosophischen und cineastischen Themen bewegt. Elfi Mikesch hat dazu wunderbar komponierte Bilder geschaffen. Aus Spielszenen und Tableaus, dokumentarisch wirkenden Interviewsituationen und meditativen Landschaftsbildern ist eine artifizielle Gedankenreise entstanden, die sich erfreulicherweise selbst nicht allzu ernst nimmt: ein geistreiches Puzzlespiel für ein sehr anspruchsvolles Publikum.

Webseite: www.bergmannfilm.de

Deutschland/Schweiz 2012/2013
Sprachen: Deutsch, Russisch, Englisch, Französisch, Latein (jeweils meist mit Untertiteln)
Buch, Schnitt und Regie: Harald Bergmann
Kamera: Elfi Mikesch
135 Minuten
Verleih: NFP, Vertrieb: Filmwelt
Kinostart: 17. Juli 2014
Verleihinfo hier...

FILMKRITIK:

Im Wesentlichen geht es um Vladimir Nabokov und seine philosophischen Betrachtungen der Zeit. Dabei steht weder Nabokovs Leben im Vordergrund noch sein literarisches Gesamtwerk und absolut überhaupt nicht „Lolita“ – sein größter Erfolg. Vielmehr wird aus weniger populären Schriften zitiert, aus „Ada oder das Verlangen“ und der Autobiographie „Erinnerung, sprich“. Chronologisch beginnt der Film mit Nabokov auf dem Sterbebett, es folgen Szenen aus seiner Kindheit, die jedoch immer wieder gebrochen werden durch Interviews, in denen der Regisseur (Klaus Wyborny mit ironischen Untertönen) und der Philosoph (pfiffig und sehr sophisticated: Heinz Wismann) versuchen, sich über den Inhalt ihres Films über Nabokov einig zu werden, den sie gerade am Schneidetisch betrachten. Zwischendurch fährt ein Mann in einem Jaguar durch die Schweizer Alpen, um eine Frau zu treffen, und der Philosophieprofessor bekommt Unterricht im Umgang mit Schmetterlingen, denn Nabokov war tatsächlich Schmetterlingsforscher. Am Ende kehrt man zurück zum Sterbenden. All das ergibt jedoch kein einheitliches Gesamtbild und soll es auch nicht.
 
Denn wie das so ist mit den Künstlern; sie machen, was sie wollen, und das gilt für den Filmemacher Harald Bergmann ebenso wie für den Dichter – Nabokov selbst war nicht nur ein brillanter Erzähler, sondern auch ein Homo ludens, ein Mensch, der spielt, und zwar mit den Erwartungshaltungen seiner Leser und mit unterschiedlichen Erzählebenen, die beim Lesen für reichlich Spekulationen sorgen. Genau hier setzt Harald Bergmann an: Ständig und lustvoll führt er die Zuschauer in die Irre. Seine Szenen sind wie Versatzstücke, die sich in der Erinnerung eines Sterbenden zeigen, eher assoziativ als konstruiert. Ein Beinahe-Zusammenhang wird geschaffen durch die Stimme von Dmitri Nabokov. Der Sohn des Schriftstellers spricht die Texte seines Vaters, die vom Werden in der Zeit handeln, vielleicht aber auch von der Zeit im Werden.
 
Vergnüglich wird es, wenn der Philosoph lernt, wie man einen Schmetterling hält, was übrigens verblüffend einfach ist. Ansonsten bewegen sich in den Spielszenen meist elegant gekleidete Menschen. Sie erleben Geschichten aus längst vergangener Zeit, die Nabokov vielleicht beeinflusst haben mögen oder die er sich ausgedacht hat: der Säugling im Stubenwagen, der knapp dem Tod entgeht, Kinderspiele und eine Geburtstagsparty im vorrevolutionären Russland. Die Personen werden dargestellt von einer großen Schar Amateur- und Profischauspieler, aus denen manche herausragen, so die schöne Katerina Medvedeva als Ada. Dazu und dazwischen philosophiert der Philosoph mit dem Regisseur, dass es nur so kracht, mal schelmisch und elegant, mal eher rustikal, aber stets eloquent: ein Wettsnobben auf extrem hohen Niveau. Mit seiner puzzlehaften, antinarrativen Struktur verführt Harald Bergmann zum Interpretieren, zur meditativen und visuellen Auseinandersetzung mit immer wieder neuen, großartigen Bildern und Texten, die scheinbar die Bilder ergänzen, sie manchmal aber auch konterkarieren. Das hat eine ganze Weile durchaus seinen Charme, denn wo kann man heute noch schön gesprochene Augustinus-Texte im sprachwissenschaftlich abgesegneten, italienisch anmutenden lateinischen Original hören? – Und wer will das überhaupt? So werden die letzten Minuten doch gelegentlich recht lang, zumal sich einige Wiederholungen und Redundanzen ins Geschehen mischen, auch wenn man weiter mit herrlichen Bildern verwöhnt und von tiefschürfenden Worten erleuchtet wird. Hier wäre im Sinne Nabokovs ebenfalls die Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit wünschenswert gewesen, wobei die Ironie natürlich darin liegt, dass auch im Kino Zeit vergeht, wenn auch anders als in der Außenwelt und nach Möglichkeit schneller. Eine solche kritische Beschäftigung mit der Zeitdilatation als Aspekt der speziellen Relativitätstheorie nach Einstein hat Harald Bergmann unterlassen. Womöglich wohlweislich?
 
Kurz: Literaturfans und alle anderen, die sich an intellektuellen Vexierspielen delektieren können, werden diesen Film jedenfalls ergötzlich finden, als Meditation und Gedankenfutter oder einfach als ästhetisch wie inhaltlich distinguierter Spaß.
 
Gaby Sikorski

Ein Versuch, sich Leben, Werk und Gedanken Vladimir Nabokovs zu nähern ist „Der Schmetterlingsjäger“ von Harald Bergmann, der sich auf sehr eigene Weise bemüht, gleichzeitig Verfilmung von Texten Nabokovs zu sein, essayistische Studie und selbstreflexive Analyse der eigenen Entstehung. Das ist hoch ambitioniert, aber nur bedingt gelungen.
 
Schon das „Der Schmetterlingsjäger“ den Untertitel „37 Karteikarten zu Nabokov“ deutet an, dass man es hier keinesfalls mit einer gewöhnlichen Dokumentation, einem normalen biographischen Film zu tun hat. Harald Bergmann, der sich zuvor mit den Schriftstellern Rolf Dieter Brinkmann und Friedrich Hölderlin beschäftigt hatte, nimmt als Ausgangspunkt für seinen Film eine Passage aus Nabokovs Roman „Ada oder das Verlangen“: In der Passage „Textur der Zeit“ geht es genau darum: Die Zeit, wie wir sie wahrnehmen, wie das Gedächtnis sie formt, wie gerade die Kunst, die Literatur aber auch der Film Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen lassen können.

In Bezug auf das Kino fällt da natürlich Godards berühmter Ausspruch ein, dass ein Film einen Anfang, ein Ende und eine Mitte haben muss – Aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. In diesem Sinne, sowohl Godard als auch Nabokov folgend, reiht Bergmann Fragmente aneinander, die auf mehr oder weniger assoziative Weise das bzw. eher ein Bild von Vladimir Nabokovs Leben formen.

Allerdings sollte man hier keinerlei genauere biographische Informationen erwarten, aber dafür braucht man ja ohnehin keinen Film, ein kurzer Blick auf die entsprechende Wikipedia Seite genügt. Stattdessen sind Szenen aus „Ada“ zu sehen, vor allem ein Mann, der in einem schmucken Sportwagen durch die Schweizer Berge fährt, in mondänen Hotels absteigt und schöne Frauen trifft. Gleichzeitig sieht man Bilder einer Festgesellschaft, die einer alten Dame zum Geburtstag gratulieren, eine Familienszene, anhand der Nabokov sich die Frage stellt, wie denn die Welt aussah, bevor er geboren ward: Welchen wert hat er, das noch ungeborene Kind, wenn seine zukünftigen Eltern auch ohne seine Anwesenheit glücklich sind?

Als weitere – und auch pointierteste Ebene des Films – sind der Philosoph Heinz Wismann und der Regisseur Klaus Wyborny zu sehen, die einen Philosophen und einen Regisseur spielen, die über die Möglichkeit diskutieren, einen Film über Nabokov zu drehen. Das Ergebnis ihrer Überlegungen ist schließlich genau der Film, den man gerade sieht, nämlich „Der Schmetterlingsjäger“, an dem Wyborny immer wieder schneidet, im Hinterzimmer eines Hauses, in das schon mal Figuren aus der Geburtstagsfeierszene hineinplatzen.

So verschmelzen die zahlreichen Ebenen: Leben Nabokovs, imaginierte Realität aus Nabokovs Werken und fiktive Diskussionen über die Arbeit am Film und formen ein reiches Gedankengeflecht. Dass allerdings gerade in den Spielszenen oft überaus langatmig abläuft. Gerade hier hätte man sich einen Produzenten gewünscht, der dem Regisseur Bergmann auf die Finger klopft. Doch da Bergmann als Autor, Produzent, Regisseur und auch noch Schnittmeister in Personalunion agierte, gab es niemanden, der ihn zu größerer Präzision drängte. Mit der Folge, dass „Der Schmetterlingsjäger“ ein ambitioniertes, interessantes Experiment ist, dass mit seiner ausufernden Länge von 135 Minuten doch deutlich zu lang geraten ist. Literaturinteressierte im allgemeinen und Nabokovverehrer im speziellen werden dennoch ihre Freude haben und im Anschluss große Lust verspüren, wieder einmal Nabokov zu lesen.
 
Michael Meyns