Die Habenichtse

Zum Vergrößern klicken

Davon, wie das Weltgeschehen unvermittelt in das Private und in persönliche Beziehungen einbricht, erzählt Katharina Hackers Generationen-Roman „Die Habenichtse“. Der Anschlag auf das World Trade Center markiert eine Zäsur im Leben eines Paares, das sich gerade erst wiedergefunden hat. Ein gemeinsamer Freund stirbt am 11. September, nur weil er zuvor bei einer Geschäftsreise für seinen besten Kumpel einsprang. Die Verfilmung von Florian Hoffmeister hält dank ihrer stilvollen Schwarz-Weiß-Bilder immer etwas Abstand zu den Figuren, die dadurch mehr wie eine Projektionsfläche wirken. Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche und angenehm unsentimentale 9/11-Geschichte mit durchweg starken Darstellern.

Webseite: www.realfictionfilme.de

D 2016
Regie: Florian Hoffmeister
Drehbuch: Mona Kino nach dem Roman von Katharina Hacker
Darsteller: Sebastian Zimmler, Julia Jentsch, Guy Burnet, Ole Lagerpusch, Ronald Pickup, Bibiana Beglau, Aljoscha Stadelmann
Laufzeit: 103 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 1.12.2016
 

FILMKRITIK:

Der 11. September 2001 ist ein Datum, das aus der jüngeren Zeitgeschichte leider nicht mehr wegzudenken ist. Fast jeder von uns weiß noch heute, wie er oder sie an jenem Tag von den schrecklichen Ereignissen aus New York erfahren hat. Für die Protagonisten in Florian Hoffmeisters „Die Habenichtse“ ziehen sich die schmerzhaften Konsequenzen der Terroranschläge auf das World Trade Center bis in das ganz Private. Denn eigentlich hätte Jakob (Sebastian Zimmler) am besagten Datum für seine Kanzlei in New York sein sollen. Stattdessen reiste jedoch sein bester Freund Hans (Ole Lagerpusch) für ihn dorthin und das nur weil Jakob kurz zuvor von einer Kunstausstellung in Berlin erfahren hatte, auf der er seine alte und noch immer große Liebe Isabelle (Julia Jentsch) wiederzusehen hoffte. Das schicksalhafte Datum der Ausstellung: Der 11. September 2001.
 
Tatsächlich begegnen sich Jakob und Isabelle an diesem Abend und fast scheint es, als sei alles noch so wie zu ihrer Studienzeit in Freiburg. Schnell ist die alte Nähe und Vertrautheit wieder da. Doch dann bedroht die schreckliche Nachricht von Hans’ Tod das Glück ihrer neuen Beziehung. Jakob macht Isabelle dennoch einen Heiratsantrag und beide ziehen nach London, wo er den alten Job seines verstorbenen Freundes übernimmt. Während er sich mit Arbeit abzulenken versucht, fühlt sie sich schon bald alleine.
 
Für Regisseur Florian Hoffmeister galt bei der Verfilmung des 2006 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Romans von Katharina Hacker vor allem die Verpflichtung, Haltung und Ton der Vorlage möglichst exakt auf die Leinwand zu übertragen. „Die Habenichtse“ sollte weder ein sentimentales 9/11-Melodram werden noch eine der üblichen Dreiecksgeschichten erzählen. Beides ist ihm und seinem großartigen Ensemble gelungen. Bereits die formale Strenge der kühlen Schwarz-Weiß-Bilder und die bewusste Verknappung der Dialoge verleihen seiner Adaption die gewünschte Distanz. Diese führt am Ende dazu, dass man „Die Habenichtse“ eher als Generationenportrait der „Thirtysomethings“ und weniger als die Darstellung einer konkreten Paarbeziehung wahrnimmt. Als Zuschauer sucht und erkundet man zudem Parallelen, vor allem weil Film wie Roman mit dem Datum des 11. September einen eindeutigen Anknüpfungspunkt zu eigenen Erlebnissen und Erinnerungen anbieten.
 
Gleichzeitig etabliert die recht nüchterne, beinahe unterkühlte Inszenierung – mitunter fühlt man sich gar an ein Bühnenstück erinnert – auch einen deutlichen Abstand zu den Figuren. Der Zugang zum Seelenleben von Isabelle und Jakob fällt schwer und ist eine Herausforderung. Überhaupt entschied sich Hoffmeister für den unbequemen Weg, der das Uneindeutige dem Eindeutigen vorzieht. Hierzu gehört auch ein Gefühl der Unsicherheit, was bis zu den aktuellen Krisen eigentlich anhält. In der Person eines mysteriösen Fremden (Guy Burnet), der Isabelle in London nachstellt, oder in Jakobs Tagträumen, in denen immer wieder Hans auftaucht, manifestieren sich nur schwer greifbare Ängste. Insbesondere der Verlust von alten Gewissheiten ist in „Die Habenichtse“ deutlich spürbar. Und doch hält der Film am Ende sowohl für seine Protagonisten als auch für das Publikum einen durchaus Mut machenden Hoffnungsschimmer bereit.
 
Marcus Wessel