Die süße Gier

Zum Vergrößern klicken

Die Wirtschaftskrise, oder vielleicht genauer: die Krise des Kapitalismus ist international. Deshalb kann Regisseur Paolo Vizi ohne Probleme den Roman „Der Sündenfall“ des Amerikaners Stephen Amidon nach Italien verlegen. Die Deformierung der Figuren durch den Finanzkapitalismus bleibt die Gleiche. „Die süße Gier“ war in Italien ein großer Publikumserfolg mit mehr als einer Million Zuschauern und wird das Land bei den Academy Awards 2015 vertreten.

Webseite: www.movienetfilm.de

Originaltitel: Il Capitale Umano
Italien/Frankreich 2013
Regie: Paolo Vizi
Buch: Francesco Bruni, Francesco Piccolo, Paolo Vizi
Darsteller: Fabrizio Bentivoglio, Fabrizio Gifuni, Matilde Gioli, Valeria Bruni Tedeschi, Luigi Lo Cascio
Länge: 111 Minuten
Verleih: Movienet Film
Kinostart: 8. Januar 2015
 

FILMKRITIK:

In einer eisigen Nacht verursacht ein Autofahrer einen Unfall, bei dem sich ein Radler schwer verletzt. Der Fahrer hält nicht an, um zu helfen. Der Film erzählt, wie es dazu kam. Die Geschichte beginnt mit dem Immobilienmakler Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio). Er träumt von mehr Geld, mehr Macht, mehr Einfluss. Er will sein wie Giovanni Bernaschi (Fabrizio Gifuni), der reichste Mann der Stadt. Wie wunderbar, dass seine Tochter Serena (Matilde Gioli) mit dessen Sohn liiert ist! Dino freundet sich mit Giovanni an und leiht sich eine Unsumme von der Bank, um sie bei seinem Investment-Fond anzulegen. Giovannis Frau Carla (Valeria Bruni Tedeschi) kann derweil über unfassbaren Reichtum verfügen, langweilt sich aber und fühlt sich nicht ernst genommen. Bis sie erfährt, dass ein altes Theater in Luxusappartements verwandelt werden soll. Endlich hat sie die Aufgabe gefunden, die ihrem Leben einen Sinn geben soll. Währenddessen hat Serena die Liebe ihres Lebens gefunden – und es ist nicht Giovanni Bernaschis Sohn. 
 
Vizi und seine Drehbuchautoren verlegen den Roman nicht nur nach Italien, sie nehmen ihn auch komplett auseinander und setzen ihn neu zusammen. Die Geschichte ist in drei Kapitel aufgeteilt, die das Geschehen jeweils aus der Perspektive einer anderen Figur zeigt. Dieses Vorgehen hat seinen Reiz, weil die Handlung so mit jedem weiteren Durchgang mit einer weiteren Bedeutungsschicht angereichert wird. Außerdem spitzt das Drehbuchteam die Geschichte so zu und lässt sie zu einem Film Noir werden, der seine Spannung bis zu Schluss hält.
 
In seinem Bestreben, den Kapitalismus und seine negativen Einflüsse vor allem auf das soziale Zusammenleben anzuprangern, geht Paolo Vizi etwas überdeutlich vor. Das zeigt sich vor allem an der Figur des Dino Ossola, der als Kaugummi kauendes Zerrbild des Emporkömmlings gezeichnet wird. Er betrügt seine schwangere Freundin, benutzt seine Tochter, entpuppt sich sogar noch als eiskalter Erpresser, aber es wird nie deutlich, warum er sich so verhält. Genauer gelingt Vizi die Darstellung der Verhältnisse bei den Bernaschis mit Giovanni als eiskaltem Monster, das handlungsmäßig zwar im Hintergrund bleibt, von dort aber alle Figuren wie an unsichtbaren Fäden kontrolliert.
 
Um „Die süße Gier“ zu verstehen, muss man den Film vor allem als Kommentar auf die speziellen italienischen Verhältnisse verstehen – in diesem Sinne ist er dann eben doch stark lokal verankert. Vizi legt eine ätzende Satire auf den Berlusconismus vor, auf den Glauben, dass zunächst das eigene Glück zählt, dann erst die Gemeinschaft. Erst im letzten Kapitel, das auch die Krimi-Handlung überraschend auflöst, deutet er so etwas wie einen Ausweg an. Und der liegt, wie so oft, in der Liebe, nicht im Geld.
 
Oliver Kaever