Holding the Man

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Timothy Conigrave und John Caleo gelten bis heute als das bekannteste homosexuelle Paar Australiens. Conigrave entwickelte sich in den 80ern zu einem gefragten Bühnendarsteller, gemeinsam mit seinem Partner trat er für die Rechte von Minderheiten ein. Beide starben in den 90er-Jahren an den Folgen ihrer HIV-Infektion. Der Film „Holding the man“ beruht auf der Autobiografie von Conigrave und überzeugt als unsentimentaler Liebesfilm ebenso wie als Zustandsbeschreibung der australischen Gesellschaft jener Jahre. Vor allem die leidenschaftlichen Darsteller-Leistungen und die sprunghafte Erzählweise, die sich in diesem Fall als Glücksgriff erweist, machen das Werk äußerst sehenswert.

Webseite: www.pro-fun.de

Australien 2015
Regie: Neil Armfield
Drehbuch: Tommy Murphy
Darsteller: Ryan Corr, Craig Stott, Kerry Fox, Camilla Ah Kin, Sarah Snook,
Guy Pearce, Anthony LaPaglia, Geoffrey Rush
Länge: 127 Minuten
Verleih: Pro Fun Media
Kinostart: 02. Juni 2016
 

FILMKRITIK:

Australien 1976: Timothy Conigrave (Ryan Corr), der im Schultheater mitspielt, und John Caleo (Craig Stott), der Kapitän des Football-Teams, gehen in die gleiche Geografie-Klasse. Beide sind von Beginn an voneinander angetan und es dauert nicht lange, bis sie sich verlieben. Doch ihre Treffen müssen heimlich stattfinden, denn in den 70er-Jahren ist die Gesellschaft noch stark von Ablehnung gegenüber jeglicher sexueller Andersartigkeit geprägt. Schon bald versuchen die Lehrer ihrer katholischen Highschool den Kontakt der Zwei untereinander ebenso zu unterbinden, wie deren konservative Eltern. Timothy und John glauben dennoch an ihre Liebe und alle Herausforderungen der folgenden Jahre können ihnen nichts anhaben. Bis zum Jahre 1985, als sie eine niederschmetternde Nachricht erhalten.

Der Film beruht auf der gleichnamigen Autobiografie des Schauspielers Timothy Conigrave, der Ende 1994 an Folgen seiner Aids-Erkrankung starb. Kurz vor seinem Tod gelang es ihm noch, das Buch fertigzustellen. Inszeniert wurde „Holding the man“ von Regisseur Neil Armfield („Candy“, 2006). Er besetzte die Hauptrollen mit zwei weitgehend unbekannten Darstellern, konnte für die Nebenrollen aber einige der bekanntesten Schauspieler Australiens gewinnen, u.a. mit Geoffrey Rush. Dort stieß der Film auch auf ein großes Medienecho.

Ryan Corr und Craig Stott tragen den Film von Beginn an mit ihrer einfühlsamen, ungemein glaubhaften Performance. Corr gibt den attraktiven und künstlerisch begabten Conigrave ebenso überzeugend wie Stott den talentierten Sportler Caleo, der anfangs noch erhebliche Probleme damit hat, seine Gefühle und Neigungen zuzulassen. Erstaunlich ist zudem die Ähnlichkeit der Darsteller mit den realen Personen, vor allem Craig Stott gleicht John Caleo fast bis aufs Haar. Mutig ist, wie die beiden Schauspieler auch vor intimen Szenen nicht zurückschrecken und diese authentisch vor der Kamera darbieten. Der Film lässt sich zudem Zeit für die Entwicklung der Figuren sowie deren Beziehung: vom zaghaften Kennenlernen über das erste Date bis hin zur ersten Liebesnacht.

Auch verschweigt „Holding the man“ die Probleme innerhalb der Beziehung nicht, die vielen anderen Paaren nur allzu bekannt vorkommen dürften: der Umzug in eine andere Stadt oder auch das Flirten mit anderen Personen bzw. der Kampf gegen die Eifersucht. Ins erzählerische Zentrum stellt der Film, mit welchen Ressentiments und Anfeindungen Homosexuelle in Australien im Allgemeinen sowie Timothy und John hier im Speziellen zu kämpfen haben. Daher funktioniert er nicht nur als fesselnde Lovestory voller Hochs und Tiefs sondern auch als Zustandsbeschreibung der australischen Gesellschaft und der allgemeinen Stimmung gegenüber Minderheiten in den 70er- und 80er-Jahren. Da ist es kaum zu glauben, gegen welche (vor allem äußeren) Konflikte sich die beiden jungen Männer bestehen müssen. Da ist das erzkonservative Lehrpersonal ihrer Highschool noch weit weniger schlimm als ihre eigenen Eltern, die ihnen u.a. dazu raten, zum Psychologen zu gehen, um die sexuellen Neigungen zu bekämpfen oder der Meinung sind, diese „Phase werde schon wieder vergehen“.

Die Erzählstruktur des Films ist nicht chronologisch, er springt zwischen den Zeiten. Dies erweist sich als geschickter Schachzug, denn so liegen stets nur wenige Sekunden und Augenblicke zwischen ausgelassenen Glücksgefühlen der ersten Liebe und z.B. dem Kampf gegen HIV bzw. dem unabwendbaren Tod. Dies sorgt dafür, dass die Geschichte auf der Leinwand eine emotional noch intensivere Wirkung auf den Zuschauer entfaltet. Die Zeitsprünge in die 70er- und 80er-Jahre sind ebenso glaubwürdig gestaltet wie die Schauspieler-Darbietungen, dafür sorgt die gelungene Ausstattung des Films, von den Frisuren über die Kleidung bis hin zur musikalischen Untermalung. Der Film ist vollgepackt mit Pop- und Rockklassikern der jener Jahre, von Supertramp, T-Rex und Blue Öyster Cult bis hin zu Bronski Beat und wird daher bei älteren Zuschauern für viel Nostalgie und angenehme Erinnerungen an die eigene Jugend sorgen.
Dennoch überwiegt am Ende die Melancholie, da diese so lange anhaltende Liebesbeziehung von einer todbringenden Krankheit zerstört wurde, die Mitte der 80er-Jahre als sicheres Todesurteil galt. Nur kurze Zeit nach Conigraves Tod wurde eine medikamentöse Therapie eingeführt,  die als Durchbruch in der Forschung gilt und die Aids-Sterblichkeitsrate um ein Vielfaches reduzierte.

Björn Schneider