Lou Andreas-Salomé

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Der immense Einfluss von Friedrich Nietzsche und Siegmund Freud auf die westliche Kulturlandschaft steht außer Frage. Allerdings wissen nur wenige, dass es eine Frau war, die das Schaffen dieser und anderer Denker des Fin de Siècle wesentlich mitprägte: Lou Andreas-Salomé. Die Regisseurin Cordula Kablitz-Post widmet der Schriftstellerin, Lyrikerin und Philosophin nun eine Hommage, die mit einem starken Ensemble und erzählerischer Leichtigkeit überzeugt.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

Deutschland, Österreich 2016
Regie: Cordula Kablitz-Post
Darsteller: Katharina Schüttler, Katharina Lorenz, Petra Morzé, Alexander Scheer, Harald Schrott, Julius Feldmeier, Peter Simonischek
Länge: 113 Min.
Verleih: Wild Bunch Germany
Kinostart: 30.06.2016
 

FILMKRITIK:

Als Rahmenhandlung der Filmbiographie dient ein Besuch des Linguisten Ernst Pfeiffer (Matthias Lier) bei der gealterten Lou Andreas-Salomé in Göttingen, dem sie trotz Krankheit ihre bewegte Lebensgeschichte erzählt. Das Treffen findet im Jahr 1933 statt, kurz nach der Machtergreifung Hitlers und parallel zur den ersten Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, was Lous Vergangenheit in den Kreisen großer Dichter und Denker umso mehr erstrahlen lässt – und dem Erzählten zugleich einen Hauch Melancholie verleiht.
 
Zum Verdruss ihrer konservativen Mutter strebte die 1861 in Sankt Petersburg geborene Lou Andreas-Salomé schon in ihrer Jugend ein Leben in völliger Selbstbestimmung an, wobei die geistige Weiterentwicklung für sie an oberster Stelle steht. Für eine Frau war das seinerzeit natürlich weder erwünscht, noch üblich, doch Lou verfügt über einen starken Willen. Um ihr Ziel zu erreichen, entsagt sie der der körperlichen Liebe, damit die Herren der Schöpfung sie nicht vorrangig als Frau, sondern als kritischen Geist wahrnehmen. Ihr Streben führt Lou an die Universität in Wien, wo sie die Philosophen Paul Rée (Philipp Hauß) und Friedrich Nietzsche (Alexander Scheer) kennenlernt, die beide von ihrer Ausstrahlung fasziniert sind und vergebens um sie buhlen. Liebe kommt für Lou erst ins Spiel, als sie den jungen Dichter Rainer-Maria Rilke (Julius Feldmeier) kennenlernt und ihre selbstauferlegte Enthaltsamkeit über Bord wirft.
 
Das Kinodebüt von Cordula Kablitz-Post porträtiert Lou Andreas-Salomé auf unterschiedlichen Zeitebenen mit insgesamt vier Schauspielerinnen, die die Kindheit und Jugend sowie das Erwachsenenalter und die alten Tage der Protagonistin zur Darstellung bringen. Helena Pieske spielt die 7-jährige Lou, die den Tod ihres Vaters erlebt, ansonsten aber in geordneten Verhältnissen aufwächst. Liv Lisa Fries („Heil“) und Katharina Lorenz („Bornholmer Strasse“) porträtieren die Jugend- und Erwachsenenjahre und damit die wesentliche Lebensphase von Lou Andreas-Salomé, in der sie sich als Schriftstellerin und Vordenkerin der Psychoanalyse zu einem Vorbild der Frauenbewegung aufschwingt. Nicole Heesters („Die Holzbaronin“) schließlich verkörpert die 72-jährige Lou, die mit ihrer Haushälterin Marie (Katharina Schüttler) abseits der Öffentlichkeit in Göttingen lebt.
 
Viel Raum räumt die Hommage den Beziehungen ein, die Lou Andreas-Salomé zu Dichtern und Denkern ihrer Zeit unterhielt. So beeinflusste Lou das Schaffen von Friedrich Nietzsche oder Siegmund Freud maßgeblich und gilt als erste Psychoanalytikern der Welt. Mit schicken Kostümen und Kulissen, die der Kameramann Matthias Schellenberg („Die fetten Jahre sind vorbei“) in hellen, übersichtlichen Bildern einfängt, der aufwühlenden Pianomusik von Judit Varga und nicht zuletzt den bis in die Nebenrollen stark besetzten Figuren gelingt Cordula Kablitz-Post ein lebensbejahendes Porträt, in dem Postkarten schon mal in Bewegung geraten, um zwei Szenen fluffig miteinander zu verbinden.
 
„Die Welt, sie wird Dich schlecht begaben, glaube mirs, sofern Du willst ein Leben haben, raube Dirs!“ sagt Lou Andreas-Salomé einmal direkt in die Kamera und bringt damit den unbändigen Lebens- und Freiheitsdrang auf den Punkt, der die Basis für ihre intellektuelle Neugierde bildete. Am Ende bietet das Porträt einen lebendigen Einblick in das Leben einer willensstarken Frau, die ihrer Zeit vielfach voraus war.
 
Christian Horn