Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

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Marguerite Dumont residiert in den goldenen Zwanzigern in ihrem prachtvollen Schloss und hält sich für eine begnadete Künstlerin und Opernsängerin. Dass die gut betuchte Dame mit einem Hang zu exzentrischen Outfits aber in einer Scheinwelt lebt und in Wahrheit nicht einen Ton trifft, sagt ihr niemand, weder ihr Mann noch ihr Gesangslehrer. Der neue Film von Regisseur Xavier Giannoli ("Chanson D'Amour") ist inspiriert von der unglaublichen Lebensgeschichte der US-Sopranistin Florence Foster Jenkins. "Madame Marguerite" trifft (im Gegensatz zur Hauptfigur im Film) auf herrlich subtile Weise stets den passenden Ton zwischen Tragik und Komik. Darüber hinaus machen die famose Hauptdarstellerin und die Vielzahl an grotesken Nebenfiguren den Film in höchstem Maße empfehlenswert.

Webseite: www.marguerite-film.de

Frankreich, Tschechien, Belgien 2015
Regie: Xavier Giannoli
Drehbuch: Xavier Giannoli, Marcia Romano
Darsteller: Catherine Frot, Christa Theret,
André Marcon, Michael Fau
Länge: 127 Minuten
Verleih: Concorde
Kinostart: 29. Oktober 2015

FILMKRITIK:

Frankreich in den 20ern: Jahr für Jahr begeben sich unzählige Personen auf das opulente Anwesen der Madame Marguerite Dumont, die auf ihrem Schloss Kunstkenner um sich schart, um gemeinsam klassischer Musik zu lauschen. Am liebsten gibt die leidenschaftliche Sängerin im Rahmen der Zusammenkunft dann auch selbst ein paar Arien zum Besten, nur leider tut sie dies ohne jedes Talent: Marguerite schwankt im Tempo, trifft kaum einen Ton und intoniert von vorne bis hinten falsch. Das Problem ist, dass keiner der Anwesenden der Gastgeberin die Wahrheit über ihr mangelndes Talent mitteilt.

Als kurz darauf auch noch ein ihre Sangeskünste lobender Zeitungsartikel von einem betrügerischen Journalisten erscheint, sieht Marguerite in sich selbst die überlebensgroße Operndiva, die auf die Bühnen dieser Welt gehört. Bald plant sie ihren ersten großen Auftritt vor einer gewaltigen Zuschauermasse und nimmt Gesangsstunden bei einem bekannten Opernsänger. In der Zwischenzeit setzt ihr Mann Georges (André Marcon) alles daran, Marguerite von dem Vorhaben abzuhalten, bevor es zur großen Blamage im Lichte der Öffentlichkeit kommt.

"Madame Marguerite" ist nicht der erste Film des französischen Regisseurs Xavier Giannoli, der sich dem Thema Musik widmet. Bereits 2006 schickte er Gérard Depardieu als alternden Chansonier durch die Provinz. Story und Figuren waren fiktiv, was sich bei "Madame Marguerite" anders verhält: Giannoli ließ sich für seinen Film von einer wahren, unglaublichen Geschichte inspirieren. Das Werk basiert lose auf dem Leben der Sopranistin Florence Foster Jenkins, die mit peinlichen Gesangsauftritten in den USA vor allem der 30er- und 40er-Jahre von sich reden machte, weil sie die berühmtesten Arien der Welt aufs heftigste malträtierte.

Es mutet schon sehr skurril und absurd an, wenn man mit ansehen und (in diesem Fall leider auch mit anhören) muss, wie unglaublich schief und rhythmisch falsch die sympathische Marguerite die Standards des Opernrepertoires (von Mozart bis Verdi) darbietet, aber einfach niemand im Stande ist, ihr die Wahrheit über ihre fehlenden Fähigkeiten zu offenbaren. Hauptdarstellerin Catherine Frot legt die trotz allem äußerst sensible, liebenswerte Frau, die immer auf der Suche nach Bestätigung und letztlich auch Liebe ist, mit viel Feingefühl, Finesse und einem nuancierten Gestik- und Mimikspiel an.

Desweiteren überzeugt der Film mit seiner glaubwürdigen und authentischen Ausstattung (Prag, wo gedreht wurde, eignet sich hervorragend als Setting für das Frankreich der 20er-Jahre), wobei die Kostüme und Kulissen aber nie zu ausladend-opulent erscheinen und daher auch nicht von der Story und den (tragischen) Figuren ablenken. Überhaupt: Tragik und Komik liegen bei diesem Film sehr nahe beisammen, er ist voller herrlich witziger Szenen, etwa wenn Marguerite bei sonderbar-abgedrehten, extrem körperbetonten Gesangsübungen ihr Talent noch weiter zur Vollendung bringen will, steckt aber auch voller Tragik und Melancholie. Schließlich geht es um eine Frau, die jeglichen Bezug zur Realität verloren hat und erst ganz am Ende die Wahrheit erkennt.

Zu guter Letzt beweist Regisseur Giannoli Fantasie und Ideenreichtum bei der Ausgestaltung seiner Nebenfiguren und "Sidekicks": vom exzentrischen, fettleibigen Gesangslehrer Atos Pezzini (wie geschaffen für die Rolle: Michel Fau) mit seiner Vorliebe für hübsche Jünglinge, über die bizarre, damenbärtige Kartenlegerin der Madame bis hin zum farbigen Butler, der bald nicht nur zum Haus- und Hoffotografen der künftigen Möchtegern-Opernsängerin mutiert, sondern auch wie kein Zweiter alles dafür tut, dass die Fantasiewelt von Marguerite aufrechterhalten bleibt.
 
Björn Schneider