Wochenenden in der Normandie

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Zwei befreundete Ehepaare kennen sich seit ihrer Jugendzeit, haben benachbarte Ferienhäuser am Meer und verbringen hier regelmäßig das Wochenende. Ihr Leben scheint in geregelten Bahnen zu laufen, doch plötzlich trennt sich eines der Paare. Anne Villacèques hat ihre pfiffige, kleine Dramödie um Liebe, Ehe und Freundschaft beinahe wie ein Kammerspiel inszeniert. Fast die gesamte Handlung kreist um die beiden Häuser wie um die beiden Beziehungen. Für die Chronologie der Ereignisse hat sie in der Normandie wunderschöne Bilder gefunden, die den Wechsel der Jahreszeiten und der Stimmungen zeigen.
Mit seinem beiläufigen Humor ist der hübsche, anspruchsvolle Film vielleicht ein Geheimtipp für Menschen, die im Kino gern realistische Geschichten mit sehr guten Schauspielern sehen möchten.

Webseite: www.kairosfilm.de

Originaltitel: Week-ends
Frankreich 2014, OmU
Drehbuch: Anne Villacèque, Sophie Fillières
Regie: Anne Villacèque
Darsteller: Karin Viard, Noémie Lvovsky, Jacques Gamblin, Ulrich Tukur, Aurélia Petit, Iliana Zabeth, Gisèle Casadesus
90 Minuten
Verleih: Kairos
Kinostart: 8. Oktober 2015
 

FILMKRITIK:

Jedes Wochenende verbringen Sylvette und Ulrich mit ihren Freunden Christine und Jean am Meer. Vor vielen Jahren haben sie, damals jung verheiratet, zwei nebeneinanderstehende Ferienhäuser gekauft. Inzwischen sind die beiden Paare in die Jahre gekommen, die Kinder werden oder sind erwachsen, und die gemeinsam verbrachten Tage wurden zum Ritual, zu einem, das für alle vier Beteiligten sehr wichtig ist. Doch wie so oft im Leben – unverhofft kommt oft! Überraschend teilt Jean Christine eines Morgens mit, dass er sie verlassen will. Einfach so. Sie liefert ihn pflichtbewusst am Bahnhof ab, obwohl sie im Auto einen mittleren Wutanfall bekommt. Die Ehe ist zerbrochen, und was nun? Wie geht es weiter, und vor allem: Wer bekommt das Haus?
 
Die Handlung, die sich über insgesamt zwei Jahre erstreckt, spielt fast ausschließlich in den beiden Häusern und in den Gärten, die Tür an Tür liegen. So schön gemütlich diese Häuser sind, so ungemütlich wird die Atmosphäre zwischen den getrennten Eheleuten, die jedes Zusammentreffen vermeiden. Am Wochenende bekommen Ulrich und Sylvette die Auswirkungen zu spüren. Die temperamentvolle Christine versorgt sie nicht nur mit Informationen, sondern auch mit einigen peinlichen Ausbrüchen, während der eher stille Jean den beiden Freunden ganz selbstverständlich seine „Neue“ präsentiert und sich wundert, dass sie so reserviert reagieren. Jean und Christine kämpfen um das Haus – den Ort ihres gemeinsamen Glücks, den sie nun jeder für sich allein beanspruchen. Wut, Trauer und Sprachlosigkeit herrschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite müssen sich Ulrich und Sylvette überlegen, wie sie auf die Situation reagieren. Von Erholung am Wochenende kann jedenfalls keine Rede mehr sein.
 
Mit leisem Humor, aber ohne Ironie erzählt der Film von einer Trennung nach langer Ehe, die ihre Auswirkungen auf die gesamte Umgebung hat. Wie verhalten sich die engsten Freunde, wenn es darum geht, Partei zu ergreifen oder sich herauszuhalten? Für diese Geschichte haben die beiden Autorinnen (Anne Villacèque und Sophie Fillières) eine feine Erzählform gefunden: Der Film spielt ausschließlich an den Wochenenden, so dass sich wie ein Puzzle zusammensetzt, was wohl seit dem letzten Wochenende am Meer alles passiert ist. Das ist hübsch und intelligent ausgedacht. Die gelungene Umsetzung ist aber auch einer feinen, zurückhaltenden Inszenierung und den sehr guten Darstellern zu verdanken, die ihren Figuren viel Glaubwürdigkeit geben. Ulrich Tukur spielt Ulrich, den Fels in der Brandung sowohl für seine Familie wie für Jean und Christine, die wechselweise im Nebenhaus auftauchen. Noémie Lvovsky ist als Sylvette patent und pragmatisch. Karin Viard als Christine spielt ebenso sprunghaft wie liebenswert die Verlassene, wobei sie in Bruchteilen von Sekunden ihre Stimmungen wechseln kann. Sehr distanziert und wortkarg zeigt Jacques Gamblin einen Mann, der vielleicht selbst gar nicht weiß, warum er aus der Ehe ausbricht. Aber das spielt irgendwann auch gar keine Rolle mehr.
 
Zu dieser realistischen, gelegentlich sehr amüsanten Alltagsgeschichte hat Pierre Milon wunderbare Bilder gestaltet. Sie zeigen die Normandie als mal wilde, mal sanfte Landschaft – im Schneetreiben wie im zarten Blütentaumel, im Hochsommer bei glühender Hitze und in sanften Herbsttönen. Dabei unterstreichen oder konterkarieren die Bilder die Handlung und sorgen so für visuelle Abwechslung in einem hübschen, anspruchsvollen Film, der im wahrsten Sinne des Wortes Lust macht auf Meer.
 
Gaby Sikorski