El Fulgor

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Ein rätselhafter Film, ein sinnlicher Film, ein Film ohne Worte, der nur mit Bildern erzählt, eine Welt zeigt, die in Traditionen verhaftet ist, aus denen es kaum ein Entkommen gibt. Das Glühen bedeutet „El Fulgor“, ein Film, der mehr Essay, mehr immersives Erlebnis ist, als Dokumentarfilm, ungewöhnlich und in jedem Fall sehenswert.

Website: https://www.gmfilms.de/El%20fulgor

Argentinien 2021
Regie & Buch: Martin Farina
Dokumentarfilm
Länge: 66 Minuten
Verleih: GM Films
Kinostart: 24. Februar 2022

FILMKRITIK:

Wie ein Spielfilm beginnt Martin Farinas „El Fulgor“: Ein Mann erwacht, wischt sich den Schlaf aus den Augen, putzt sich die Zähne, macht sich an die Arbeit. Auf einer Farm befinden wir uns, irgendwo in Lateinamerika, soviel verrät das Äußere des Mannes. Ein Gewehr wird geladen, Vögel sitzen auf Zweigen, Spinnen hängen im Netz.

In den Scheunen stehen Pferde und Rinder, dass die Kamera besonderes Augenmerk auf ihre Schenkel legt, mit fast fetischistischem Blick das Fleisch betrachtet, ist ein Zeichen für das, was später kommen wird. In Argentinien befinden wir uns, wo die Rinderzucht, die Produktion von saftigen Steaks, zu den wichtigsten Industriezweigen zählt. Die Cowboys heißen hier Gauchos, die Arbeit ist hart und schmutzig, wenn die Männer nach der Arbeit unter der Dusche stehen und sich waschen, zeigt die Kamera ihre Schenkel, ihr Fleisch, so wie zuvor die Tiere gezeigt wurden.

Bald beginnt der Karneval, der auf der südlichen Hälfte der Erde nicht im Winter statt findet wie in Deutschland, sondern im Sommer. Dementsprechend heiß ist es, dementsprechend leicht bekleidet sind die Besucher, Frauen auch, doch in Martin Farinas „El Fulgor“ geht es nur um die Männer.

In enge Kostüme zwängen sie sich, in knappste Höschen, die mehr andeuten, als sie verbergen, tanzen zu pulsierenden Rhythmen auf den Straßen, ziehen in Umzügen durch die Stadt, schwitzen, verlieren sich in der Musik. Eine Fleischbeschau, bejubelt vom Publikum, voller Sinnlichkeit und unverhohlener Homoerotik. Der Alkohol tut sein übriges, immer ausgelassener wird die Stimmung, die Masse tobt, die Zuschauer jubeln.

In impressionistisches Bildern zeigt Farinas die beiden Welten, das Leben auf der Farm und die Exzesse des Karnevals, bedient sich Unschärfen, extremer Nahaufnahmen, wechselt zwischen Farbe und Schwarz-Weiß, verweigert dem Betrachter jede Erklärung, jeden Kontext, jeden Halt.

Kaum mehr als eine Stunde dauert dieser sinnliche Trip, fast ein Experimentalfilm, der Versuch, eine immersive Erfahrung zu erzeugen, die optisch und akustisch in eine andere Welt entführt. Man könnte sagen, dass „El Fulgor“ unterschwellig Fragen über das Verhältnis von südamerikanischer Machokultur und unterdrückten homoerotischen Gelüsten aufwirft, aber zu weit sollte man solche Überlegungen vielleicht nicht führen.

In erster Linie funktioniert Martin Farinas Film als filmisches Erlebnis, als Reise in eine fremde Welt, als sinnliche Erfahrung, die sicher nicht immer Sinn ergibt, die Fragen eher aufwirft, als sie zu beantworten, aber gerade das macht „El Fulgor“ so eigen und sehenswert.

Michael Meyns