Alles was du willst

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Die große Filmnation Italien dümpelt im Dornröschen-Schlaf. Umso erfreulicher, dass Bella Italia nun wieder mit einem cineastischen Filmjuwel erwacht. Altmeister Giuliano Montaldo, der einst „Sacco und Vanzetti“ inszenierte, wechselt vor die Kamera und gibt einen eleganten Dichter, der unter Alzheimer leidet. Als zunächst widerwilliger Betreuer wird ihm der junge Alessandro an die Seite gestellt. Bald werden die beiden ziemlich beste Freunde. Als der betagte Poet beiläufig von einem Schatz erzählt, den er zu Kriegszeiten vergraben hat, entwickelt der 23-jährige Taugenichts ungeahnte Talente. Wunderbar warmherzig, berührend und humorvoll erzählt, präsentiert sich mit einem exzellenten Darsteller-Duo ein „Honig im Kopf“ voll italienischer Leichtigkeit.

Webseite: www.kairosfilm.de

Italien 2017
Regie: Francesco Bruni
Darsteller: Andrea Carpenzano, Giuliano Montaldo, Donatella Finocchiaro
Filmlänge: 106 Minute
Verleih: Kairos
Kinostart: 7.11.2019

FILMKRITIK:

La dolce vita ist für Alessandro allemal angenehmer als Arbeit. Mit seinen Freunden hängt der 23jährige vorzugsweise auf der Piazza ab, prügelt sich mit verfeindeten Cliquen oder flirtet heftig mit der Mama eines Kumpels. Als es wieder einmal Ärger mit der Polizei gibt, reißt dem Vater der Geduldsfaden. Sohnemann muss endlich einen Job annehmen, sonst ist Schluss mit lustig. Für 30 Euro Stundenlohn soll er Spaziergänge mit einem betagten Poeten aus der Nachbarschaft machen, der unter Alzheimer leidet. Widerwillig stimmt der Taugenichts zu. „Alzheimer - ist das ansteckend?“ oder „Ich wusste gar nicht, dass es überhaupt noch Dichter gibt!“, reagiert er zunächst pampig. Bald jedoch kann sich Alessandro (Andrea Carpenzano) dem Charme des eleganten Giorgio (Giuliano Montaldo) nicht entziehen. Fußball verbindet und die Wertschätzung durch den Alten tut seinem Betreuer sichtlich gut. Dessen Clique reagiert bei einem Besuch gleichfalls begeistert. Eigentlich wollten die Jungs in der vornehmen Villa des Dichters ein paar Wertsachen mitgehen lassen. Doch Giorgio begrüßt sie alle so herzlich, dass man bald gemeinsam per PlayStation vergnügt Fußballspiele zockt. Als zu Kriegsspielen gewechselt wird, tauchen bei dem Alzheimer-Patienten alte Erinnerungen auf - zu denen auch ein Schatz gehört, den er als Soldat vergraben haben will.
 
Die Aussicht auf schnellen Reichtum legt beim bildungsfernen Alessandro ungeahnte Talente frei. Er recherchiert intensiv im Netz, begibt sich sogar erstmals in eine Bibliothek. Dort wird er nicht nur mit Informationen zum verschollenen Schatz belohnt, auch ein bisschen Flirt mit einer attraktiven Studentin fällt in der Bücherei für ihn ab. Mit großen Erwartungen bricht die Clique samt Dichter zum Abenteuer in die Toskana auf. Doch bald schon gilt es, unerwartete Probleme zu lösen.
 
„Gewidmet meinem Vater“ verkündet der Abspann. Tatsächlich ist stets spürbar, wie gut vertraut Regisseur und Autor Francesco Bruni mit der Krankheit Alzheimer ist. Der 85jährige Giorgio vergisst Namen, er verwechselt Dinge und gerät in peinliche Situation. Aber wenngleich der Honig im Kopf ihm den Blick auf die Realität bisweilen verstellt, lässt ihm der Film stets seine Würde und Eleganz. Für die coolen Jungs eröffnet die Begegnung mit dem charmanten Alten ganz neue Welten. Während Alessandro mit seinen Aufgaben wächst, erweist sich der Dichter als ziemlich bester Ratgeber in Liebesdingen. „Woher weiß man, dass man jemand gefällt?“ will der frisch verliebte junge Macho wissen. „Ganz einfach. Wenn viel gelacht wird, wenn man zusammen ist, ist man auf dem richtigen Weg.“ bekommt er als hübsche Lebensweisheit zu Antwort.
 
Der drehbucherfahrene Regisseur Bruni stattet seine Figuren mit großer Glaubwürdigkeit und psychologische Plausibilität aus. Gekonnt umgeht er die bei diesem Thema drohenden Kitsch-Klippen, stattdessen setzt er auf italienische Leichtigkeit samt pointierter Dialoge. „Sacco und Vanzetti“-Regisseur Giuliano Montaldo spielt den eleganten Poeten mit scheinbar müheloser Grandezza. Derweil Newcomer Andrea Carpenzano mit lässiger Leinwandpräsenz vom protzig trotzigen Möchtegern-Macho zum nachdenklichen Sensibelchen mutiert. Italienisch für Fortgeschrittene, zum Glück OmU - alles, was du willst!
 
Dieter Oßwald