Der goldene Handschuh

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Fatih Akin beweist mit seinem Drama über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka viel Mut und deutlich weniger Mitgefühl für sein Publikum. Die teils subtilen, teils deutlichen Gewaltschilderungen könnten viele Kinofans an ihre Grenzen bringen, und am Ende steht keine genreübliche Katharsis, sondern eher eine milde Form der Verwirrung ob der Aussage des Films. Geht es um die Erklärbarkeit des Unerklärlichen oder um die allgegenwärtige Macht des Schreckens und der Perversion? Plant Fatih Akin hier den Gegenentwurf zur schöngeredeten, früher angeblich so heilen Welt der Populisten?

Webseite: www.warnerbros.de

Deutschland 2019
Regie und Drehbuch: Fatih Akin (nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk)
Darsteller: Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Marc Hosemann, Tristan Göbel, Uwe Rohde, Hark Bohm, Victoria von Trauttmansdorff, Adam Bousdoukos
Länge: 110 Minuten
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 21. Februar 2019

FILMKRITIK:

Fritz Honka, der Frauenmörder von Hamburg, der in den 70er Jahren die ganze Bundesrepublik verschreckte, suchte sich vielleicht mit Absicht, vielleicht in Ermangelung anderer Möglichkeiten, für seine Sexualkontakte ältere Frauen aus, die niemand vermissen würde: Sie kamen aus dem Trinkermilieu, waren obdachlos oder Gelegenheitsprostituierte. Ihr Treffpunkt war „Zum Goldenen Handschuh“, eine Tag und Nacht geöffnete Kneipe auf St. Pauli. Über dieses Lokal schrieb Heinz Strunk, dem so großartige Bücher wie „Fleisch ist mein Gemüse“ und ein so schöner Film wie „Fraktus“ zu verdanken sind, einen Roman: „Der goldene Handschuh“ verbindet die Kiezkneipe mit Honkas Taten, zeigt aber auch ein anderes Hamburg: die Oberschicht in Gestalt einer Familie, die letztlich so kaputt ist wie die „Handschuh“-Gäste. Fatih Akins Film entstand nach dieser literarischen Vorlage.
 
Um eines vorwegzuschicken: Fatih Akin traut sich was, er reduziert seine Heimatstadt mutig auf ein enges Milieu, das fast komplett von Verwahrlosung, Alkohol und sexuellem Notstand geprägt ist. Mutig ist ebenfalls, mit welchem Einsatz er in die Abgründe menschlicher Triebe taucht. Was die Darstellung des Hamburger Kiezes betrifft, gibt es wohl niemanden, der das besser und realistischer kann als Fatih Akin. Aber „Der Goldene Handschuh“ ist nicht vorrangig ein Kiezfilm. Er ist das Porträt eines geisteskranken Sexualmörders. Fatih Akin verzichtet dafür auf Strunks Oberschicht-Familie, stattdessen lässt er hin und wieder zwei Hamburger Teenies auftauchen: Petra und Willi, die aufs selbe Gymnasium gehen. Petra begegnet Honka zufällig, der sie sofort begehrt und nicht mehr vergisst. Willi wird zum Fan des „Goldenen Handschuhs“. Auf diese Weise kommt es zu einer neuerlichen Begegnung von Petra und Honka, bei der man um Petras Leben fürchten soll. Das klappt nicht so recht und ist daher symptomatisch für das Werk, das Fatih Akin selbst einen Horrorfilm nennt.
 
Horrorfilme funktionieren bekanntlich am besten, wenn das Publikum in Gedanken Bilder formt, die das Gesehene an Schrecken übertreffen. Zu Beginn gelingt das Fatih Akin in vorbildlicher Weise, wenn er das Zersägen einer Leiche nicht zeigt, sondern sehr unangenehme Geräusche dazu präsentiert. Später wird er weniger subtil. Immerhin deutet er meist mehr an, als zu sehen ist. Er verzichtet weitgehend auf Splatter-Effekte oder auf zur Schau gestellte Gewaltszenen. Das meiste passiert außerhalb des direkten Blickfelds der Kamera. Blutig wird’s trotzdem. Bei der Betrachtung überwiegen allerdings eher Abneigung und Ekel anstelle von Angst. Woran liegt das? Zum einen an Honka selbst, genauer gesagt an seiner Maske, die das Gesicht des wackeren Jonas Dassler bis zur Unkenntlichkeit verbirgt: mit einer vernarbten, unförmigen Nase, schielenden Augen und einem ostentativ verfaulten, schiefen Vorderzahn im Oberkiefer – viel mehr geht nicht, und es ist von allem ein Tick zu viel. Der echte Fritz Honka war dagegen beinahe gutaussehend. Jonas Dassler, der im wahrsten Sinne des Wortes alles gibt, sieht damit aus wie eine Mischung aus Glöckner von Notre Dame und Loriot als Vic Dorn (Stichwort: Welche Maske?). Fatih Akin unterläuft hier ein kleiner, aber dramaturgisch folgenschwerer Fehler: Er gibt dem Mörder von vornherein das Aussehen, die Bewegungen und das Verhalten eines Geisteskranken. Zusätzlich zeigt er Honka als notorischen Vollalkoholiker, wobei unklar bleibt, ob er in der einzigen trockenen Phase seine Triebe beherrschen kann oder keine Gelegenheit zum Mord findet. Man kann sich vor ihm ekeln, man kann ihn abstoßend und zutiefst unsympathisch finden, aber es fällt schwer, diesen Fritz Honka ernstzunehmen – wie soll man dann Angst vor ihm entwickeln? Ängste, Panik, Schrecken und Horror entstehen aus der Verbindung von bekannten und unbekannten Symptomen, aus dem Kampf des Verstandes gegen das Unbewusste, aus dem unzuverlässigen Aufeinandertreffen von Normalität und Wahnsinn. Fatih Akin und Jonas Dassler vergeben einige Chancen, Honka wirklich angsterregend zu gestalten, nicht nur in der Kneipe, sondern auch, wenn er in seinem neuen Job als vorübergehend nüchterner Nachtwächter eine junge Frau kennenlernt, die ihm gegenüber freundlich auftritt. Zwar lässt Fatih Akin sie und ein paar potentielle Opfer mit beinahe heiler Haut davonkommen und Honka bleibt widerwärtig und unerträglich, aber das hat mit Angst nichts zu tun. Er ist der geistesgestörte Triebtäter, vom Anfang bis zum Ende.
 
Die Verbindung von Kneipe und Mansarde als wichtigste Schauplätze macht den Film beinahe zu einem Kammerspiel – die Szenerie wirkt auf diese Weise kiezmäßig übersichtlich und leicht beengt. In seiner Bildsprache orientiert sich Fatih Akin vielleicht an den Fotos von Anders Petersen, der in den 60er und 70er Jahren mit seinen Hamburger Kneipenbildern von Säufern, Bordsteinschwalben und anderen Nachtvögeln bekannt wurde. Fatih Akins Bilder sind ähnlich gnadenlos realistisch, sie zeigen eine eigene Welt der gescheiterten, verlorenen Existenzen, die äußerlich oft wenig sympathisch wirken. Fritz Honka ist einer von ihnen. Da ist der Anblick von Hark Bohm mit seinen lebhaften Augen beinahe tröstlich, er spielt einen der Stammgäste im „Handschuh“. Wenn Heintje singt, dann weinen sie alle – die besoffenen Nazis und die Möchtegern-Weiberhelden an der Bar genauso wie die ollen Huren an den Tischen. Überhaupt spielt die Musik eine wichtige Rolle. Freddy Quinns Junge, der bald wiederkommt, und Christian Anders mit seinem Zug nach Nirgendwo. Zu Adamos „Es geht eine Träne auf Reisen“ zersägt Honka seine Opfer. Vielleicht wollte Fatih Akin auf diese Weise seine Meinung zum deutschen Schlager der 60er und 70er Jahre kundtun. Wenn ja: Das funktioniert ganz prächtig. Zu der miefigen Bürgerlichkeit, die womöglich auch ein Fritz Honka anstrebte, gehörten Karel Gott, Lale Andersen und der Gestank von Alkohol und Nikotin ebenso wie ein von sexualisierter Gewalt geprägtes Frauenbild. Vieles hat sich eben doch zum Besseren gewandelt. Insofern wäre Fatih Akins Film eine Abrechnung mit den Populisten, die aus der Idealisierung der Vergangenheit zur vorgeblich heilen Welt einen Teil ihrer Ideologie beziehen. Aber man weiß es nicht. Fatih Akin bezeichnet sich selbst als jemand, der mit Genres flirtet. Ob sein Flirt mit dem Horrorfilm erfolgreich war, wird das Kinopublikum entscheiden.  
 
Gaby Sikorski