Djam

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Freud und Leid, Verfolgung und gesellschaftliche Ausgrenzung – in vielen Filmen des französischen Regisseurs Tony Gatlif von „Gadjo Dilo“ (1997) über „Exils“ (2004) bis „Geronimo“ (2014) schwingen diese Themen mit, und auch um Heimat geht es zumeist. Der in Griechenland und der Türkei spielende „Djam“ greift diese Stichpunkte nun erneut auf und bindet sie ein in ein von der Musik des Rembetiko beseeltes Roadmovie. Daphné Patakia in der Rolle der jungen Djam ist dabei eine Entdeckung.

Webseite: www.mfa-film.de

Frankreich, Griechenland, Türkei 2017
Regie/Buch: Tony Gatlif
Darsteller: Daphné Patakia, Simon Abkarian, Maryne Cayon, Kimon Kouris, Solon Lekkas
Länge: 97 Minuten
Verleih MFA+
Kinostart: 26.4.2018

FILMKRITIK:

Sie hat Temperament, ist freiheitsliebend und unbeschwert, aber auch ein wenig aufmüpfig und widerständig. Die junge Griechin Djam (Daphné Patakia) wird von ihrem Onkel (Simon Abkarian) von Lesbos nach Istanbul geschickt, um dort eine neue Treibstange für das dann hoffentlich wieder betriebsfähige Touristenschiff schmieden zu lassen. Am Bosporus lernt Djam eine junge Französin kennen, die freiwillig in der Flüchtlingshilfe arbeiten wollte, vom Freund verlassen und ihrer Habseligkeit beraubt wurde und nun desillusioniert ist. Gemeinsam reisen beide weiter, sind sich mal nah und manchmal fremd und haben auf ihrem Weg zurück nach Griechenland herzliche Begegnungen ebenso wie traurige.
 
Die Griechenlandkrise wie auch das Flüchtlingsproblem auf Lesbos werden von Gatlif angedeutet. Mal sind es in Mauern eingeritzte arabische Schriftzeichen an einem verlassenen Bahnhof, mal der Blick auf Berge zurückgelassener Schwimmwesten und einen Friedhof ausrangierter Schlepperboote, die dem Zuschauer eindringlich von einer humanitären Katastrophe und einer Vielzahl von Schicksalen erzählen, ohne dabei konkret Flüchtlingsmassen zeigen zu müssen. Dass es in einem geschwächten Griechenland keine Zukunft gibt, das wird auch so schnell deutlich.
 
Doch immer dann, wenn das Gemüt in den Keller zu sacken droht, ist da die Musik – in Kneipen, Tavernen oder einfach auch nur nachts auf einem einsamen Bahnsteig. Musik hat in den Filmen von Tony Gatlif stets eine bedeutende und tragende Rolle gespielt, auch sie ist, wenn man so will, einer der Hauptcharaktere. Nach Gypsy-Sound, Flamenco, Swing und zuletzt auch Hip-Hop haucht diesem Film nun der Klang des griechischen Rembetiko Seele ein. Bei ihm handelt es sich um einen Musikstil, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Verbindung der Volksmusik Griechenlands und der osmanischen Musiktradition in den Subkulturen von Athen, Piräus und Thessaloniki hervorgegangen ist. Gatlif versteht diese Musik als „Musik der Ungeliebten, der Menschen, die darauf stolz sind, wer sie sind. Subversive Musik, deren Texte Worte sind, die heilen können."
 
Dass Daphné Patakia, die 2016 bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin zum „European Shooting Star“ gewählt wurde und Gatlif vor allem wegen ihres ihn an den tänzelnden Gang von Charlie Chaplin erinnerte, sich das Spielen der griechischen Baglamas über You-Tube-Videos, das Singen und Lernen der traditionellen Stücke sowie orientalischen Tanz erst durch mehrmonatiges Üben erarbeiten musste – man glaubt es kaum. Vor der Kamera wirkt sie so, als hätte sie diese Musik schon mit der Muttermilch aufgesogen. Weil diese Musik live aufgenommen wurde, verströmt sie spürbar auch eine wunderbare Energie und Kraft. Daphné Patakia ist in ihrer Rolle eine Wucht. Und das ist entsprechend auch der Film, einfach und allein deshalb, weil er mit Djam einen starken Charakter auf eine Reise schickt und sie allen Widerständen zum Trotz ganz bei sich bleiben lässt. Freude und Leid, Freiheitsdrang und Leidenschaft kommen dabei gleichermaßen zum Ausdruck.
 
Thomas Volkmann