Erde

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Seit geraumer Zeit leben wir im Anthropozän, dem Erdzeitalter, in dem zum ersten Mal in der Geschichte unseres Planeten, der Mensch größeren Einfluss ausübt als die Natur. Wie diese Einschnitte aussehen, welche unvorstellbaren Veränderung der Mensch und von ihm geschaffene Maschinen vornehmen, zeigt Nikolaus Geyrhalter in seinem eindrucksvollen Film „Erde“.

Webseite: www.erde-film.at

Dokumentation
Österreich 2019
Regie & Buch: Nikolaus Geyrhalter
Länge: 115 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 4. Juli 2019

FILMKRITIK:

Durch Wind und Wetter werden jeden Tag gut 60 Millionen Tonnen Erde bewegt. Durch den Menschen dagegen täglich 156 Millionen Tonnen. Diese nackten Zahlen stehen zu Beginn von Nikolaus Geyrhalters Dokumentation „Erde“, mit ihnen ist zwar alles gesagt, aber wie es aussieht, wenn der Mensch solch unvorstellbare Mengen an Erde bewegt, ist im Folgenden fast zwei Stunden lang zu sehen.
 
An sieben Schauplätzen der Erde hat Geyrhalter gefilmt, ausschließlich in Nordamerika und Europa, was möglicherweise finanzielle Gründe hatte, vielleicht aber auch ein subtiler Hinweis darauf ist, dass die Zerstörung unseres Planeten ihren Ausgang in der westlichen Zivilisation genommen hat.
 
Und das schon vor Tausenden von Jahren, in Carrara in Italien, wo der gleichnamige Marmor aus dem Fels geschnitten wird, einst mit vorsintflutlichen Gerätschaften, heute mit modernster Technik. Ohnehin die Technik: Sei es der Brenner Tunnel, der durch eine gigantische, an einen mechanischen Riesenwurm erinnernde Maschine fast automatisch gegraben wird, oder die riesigen Schaufelradbagger, die in einem Tagebau in Ungarn unermüdlich Kohle fördern: die Methoden mit denen der Mensch sich die Erde untertan macht beeindrucken.
 
In meist starren, langen Einstellungen zeigt Geyrhalter die Arbeiten an den jeweiligen Schauplätzen und scheut sich nicht davor, auch zu zeigen, wie beeindruckend das Werk des Menschen ist. Beeindruckend, nicht zuletzt aber auch zerstörerisch, eine Dialektik, aus der sich die Spannung des Films speist.
 
In allen sieben Segmenten, ob im kalifornischen San Fernando Valley, im kanadischen Alberta, dem spanischen Rio Tinto oder in Gyongos in Ungarn, beschränkt sich Geyrhalter nicht nur auf eine visuelle Darstellung der jeweiligen Arbeiten, sondern lässt auch Menschen zu Wort kommen, die über ihre Arbeit sprechen. Oft schwingt dabei erstaunlicherweise eine gewisse Selbstkritik über das eigene Tun mit, beschreiben Arbeiter fast mit Bedauern die Veränderungen, die sie an der Natur vornehmen. Wie ein sinnliches Verhältnis mutet es dann wieder an, wenn vom Kampf gegen die Natur die Rede ist, die der Mensch - natürlich - gewinnen wird, besonders dann, wenn gar die Rede davon ist, den Berg mit der Macht und Kraft der Maschinen zu entjungfern.
 
So wie auch Geyrhalter sich klarer, aber auch allzu einfacher Urteile entzieht, sind auch die Aussagen der Arbeiter von Ambivalenzen geprägt. Einerseits beeindruckt von den Möglichkeiten der modernen Technik, andererseits im Bewusstsein, der Natur mit dieser Technik unwiderruflichen Schaden zuzufügen. Besonders frappierend an einem Ort wie Wolfenbüttel, einem alten Salzbergwerk, das als Lagerstätte für radioaktive Abfälle dient. Hier werden die Folgen der Eingriffe in die Natur Tausende Jahre zu spüren sein, Konsequenzen des menschlichen Handelns, die Nikolaus Geyrhalter auf eindrucksvolle Weise zeigt.
 
Michael Meyns