Oray

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Filme über Muslime gibt es einige, Filme von Muslimen nur wenige. Allein das macht „Oray“, den Debütfilm von Mehmet Akif Büyükatalay, der in der Perspektive Deutsches Kino der Berlinale gezeigt wurde, bemerkenswert. Doch vor allem ist es der differenzierte Blick, den Büyükatalay auf Religion und auch Extremismus wirft, der den Film gerade auch für nicht Muslime sehenswert macht.

Webseite: www.dejavu-film.de

Deutschland 2019
Regie & Buch: Mehmet Akif Büyükatalay
Darsteller: Zejhun Demirov, Cem Göktas, Deniz Orta, Faris Yüzbaşıoğlu, Mikael Bajrami, Fırat Barış Ar
Länge: 97 Minuten
Verleih: déjà-vu film
Kinostart: 30. Mai 2019

FILMKRITIK:

Oray (Zejhun Demirov) lebt mit seiner Frau Burcu (Deniz Orta) unter beengten Verhältnissen in Hagen. Rund läuft die Ehe nicht, man streitet sich oft und auch zunehmend heftig, zumal Oray gern Zeit mit seinen Freunden verbringt, trinkt und kifft. So kommt es dazu, dass Oray in seiner Wut die islamische Scheidungsformel talaq ausspricht, zwar nur auf die Mailbox, doch das reicht. Da Burcu seine Worte hört, haben sie bestand, wie ein Anruf bei einem Geistlichen bestätigt.
 
Nach islamischem Recht muss Oray seine Frau verlassen, für drei Monate, danach kann die Ehe weitergehen. So zieht Oray nach Köln, wo er dank seiner umgänglichen Art schnell Fuß fasst. Er arbeitet auf einem Flohmarkt, zieht zur Untermiete bei einem Bekannten ein und wird Teil der Gemeinschaft des Imam Bilal (Cem Göktas). Der predigt eine besonders konservative Auslegung des Korans, distanziert sich von den staatlichen Imamen, die seiner Ansicht nach den wahren Koran ignorieren.
 
Hundertprozentig im muslimischen Mikrokosmos siedelt Mehmet Akif Büyükatalays seinen Film an, „typische“ Deutsche kommen nicht vor, allein Menschen mit so genanntem Migrationshintergrund treten auf. Und doch geht es in keinem Moment um die Themen, die gerade in den Boulevardmedien praktisch automatisch mit Muslimen und dem Islam verbunden sind: Terrorismus, Anschläge, der IS. Ganz normale junge Männer zeigt Büyükatalay, die nach einem Platz im Leben und nach Antworten suchen.
 
Die gibt ihnen oft der Koran, der Glaube, doch was genau gibt er ihnen? Und vor allem: Wer stellt die Regeln auf, wer interpretiert den Koran? Wie unterschiedlich die Texte, die dem islamischen Glauben direkt von Gott stammen, interpretiert werden können, ist eines der vielen Themen, die Büyükatalay anreißt. Sagt der Imam in Hagen Oray noch, dass er mit dem Aussprechen des talaq nur eine Ehepause erzwungen hat, kommt dies für den Imam in Köln einer Scheidung gleich. Grundsätzlich hinterfragt der Film diese bizarr anmutende Form der Ehescheidung, der Geschlechterverhältnisse jedoch nicht. Dass nur der Mann das Recht hat, sich mit dem Aussprechen des talaq zu scheiden, die Frau ganz den Wünschen des Mannes unterworfen ist, wird nicht thematisiert. Ohnehin ist „Oray“ ein von stark männlichem Blick geprägter Film, in dem die Frau nur als liebendes, treusorgendes Wesen auftaucht, die ihren Mann unterstützt.
 
Etwas schade ist es, dass sich Büyükatalays differenzierte Schilderung der muslimischen Subkulturen Deutschlands nicht auch auf das Geschlechterverhältnis bezieht, dass somit stark konservativ und patriarchalisch wirkt. Dennoch ist „Oray“ ein bemerkenswerter Film, der oft in fast dokumentarisch anmutender Weise einen Blick in Welten ermöglicht, die im deutschen Kino und auch Fernsehen meist ignoriert werden, wenn sie nicht gar komplett Klischeebesetzt geschildert werden.
 
Michael Meyns