Sibyl – Therapie zwecklos

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Die schöne Virginie Efira spielt eine Psychotherapeutin, die kurzentschlossen ihren Job an den Nagel hängt, um endlich einen Roman zu schreiben. Eine Patientin aber lässt sich nicht abwimmeln. eine junge Schauspielerin, die von einem Kollegen schwanger ist, der allerdings mit der Regisseurin ihres gemeinsamen neuen Films liiert ist. Viel Gesprächsbedarf also. Und den lässt die Therapeutin einfach in ihr Buch einfließen. Etwas steife Tragikomödie, die die Linearität der Handlung aufbricht und mit mehreren Erzählebenen und Interpretationsangeboten zu ausgetüftelt scheint. Köstlich: Sandra Hüller als hysterische deutsche Arthouse-Regisseurin, die gern mal in die Luft geht.

Webseite: www.alamodefilm.de

Frankreich 2019
Regie: Justine Triet
Darsteller: Virginie Efira, Adèle Exarchopoulos, Gaspard Ulliel, Sandra Hüller
Länge: 100 Min.
Verleih: Alamode
Kinostart: 16.7.2020

FILMKRITIK:

Sibyl (Virginie Efira) arbeitet als Psychotherapeutin. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten und zwei Kindern, eins davon aus einer früheren Beziehung, zusammen in Paris. Eines morgens kommt die junge Frau auf die Idee, sich ihrer eigentlichen Leidenschaft, dem Schreiben, zu widmen. Sie reicht alle ihre Patienten an Kollegen weiter, schmeißt den Job und wartet auf Inspiration. Nur eine lässt sich nicht abweisen: Margot (Adèle Exarchopoulos), eine junge Schauspielerin, die von Igor (Gaspard Ulliel), einem Kollegen, schwanger ist. Der ist allerdings mit Mika (Sandra Hüller) liiert, einer deutschen Regisseurin, mit der beide zusammen gerade einen Film drehen. Margot ist kurz vor einem Nervenzusammenbruch, sie braucht Hilfe. Sibyl taucht immer tiefer in ihr kompliziertes Leben ein, und plötzlich flutscht es auch mit dem Schreiben. Denn: Sie nimmt die Therapie-Gespräche heimlich mit dem Handy auf und schreibt sie einfach ab. Inzwischen ist Margot zu weiteren Dreharbeiten nach Stromboli gereist, zuvor hat sie abgetrieben. Sie ist so verzweifelt, dass sie ohne Sibyl nicht arbeiten kann. Also fliegt die Therapeutin nach Süd-Italien. Eine Entscheidung, die ihr Leben völlig durcheinanderbringt.

Die Handlung klingt in der Nacherzählung einfacher als sie ist. Regisseurin Justine Triet bricht die Linearität ihrer Geschichte auf, in dem sie immer wieder Rückblenden von Sibyls gescheiterter Beziehung einwirft, manchmal nur kurze Erinnerungen aufblitzen lässt, von leidenschaftlichem Sex zum Beispiel, oder mit Einschüben die Richtung wechselt. Gleich zu Beginn muss sich Sibyl von einem Mann, der den ganzen Film über nicht mehr auftauchen wird, in einem Sushi-Circle-Restaurant mit einem Wortschwall zuschütten lassen. Eine erste Irritierung. Gelegentlich sehen wir sie bei Treffen der Anonymen Alkoholiker, obwohl wir sie zuvor noch nie betrunken gesehen haben. Hat sich Sibyl vielleicht selbst in die Rolle einer Figur in ihrem Roman geträumt, in eine andere Variante ihrer selbst, der Alkoholikerin und zurückgewiesenen Geliebten vielleicht? Oder sind hier mehrere Figuren, siehe Pirandello, auf der Suche nach einer Autorin, die alles zusammenhält? Vielleicht ist aber auch alles ganz real, und Virginie Efira zeigt uns nur mehrere Facetten einer starken Frau: die fähige Therapeutin, die leidenschaftliche Liebhaberin, die gute Mutter, die erfolgreiche Schriftstellerin. Efira hält jedenfalls den Film mit ihrer bravourösen Darstellung zusammen – auch wenn er mit diesen Anspielungen und Interpretationsangeboten ein wenig zu ausgetüftelt und steif daherkommt. Nicht zu vergessen die symbolträchtigen Dreharbeiten auf Stromboli, die natürlich eine Schneise schlagen zu dem gleichnamigen Film, den Roberto Rossellini 1949 mit Ingrid Bergman inszeniert hatte. Auch dort wurden die Probleme im Zusammenleben von Mann und Frau thematisiert. Doch es geht hier auch leichtfüßig und komisch zu. Köstlich jene Szene, in der Sibyls Schwester deren kleiner Tochter beibringt, wie sie bei der Mutter Schuldgefühle auslösen kann. Und dann ist da noch Sandra Hüller als exzentrische deutsche Arthouse-Regisseurin, die ihren Film über alles stellt und mehr als einmal die Geduld mit ihren Schauspielern verliert. Ohne allzu viel verraten zu wollen: Sie hat einen der schönsten Abgänge, die sich eine aufgebrachte Regisseurin im Kino jemals geleistet hat.

Michael Ranze