Verschwörung

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Fede Alvarez machte sich mit kleinen dreckigen Genrefilmen einen Namen. Seine erste Big-Budget-Produktion geht dagegen auf ganzer Linie baden - und das hat nichts mit der nach wie vor geschickten Inszenierung des gebürtigen Uruguesen zu tun, sondern mit einem hanebüchenen Drehbuch.

Webseite: www.Verschwörung-Film.de

OT: The Girl in the Spider’s Web
USA 2018
Regie: Fede Alvarez
Darsteller: Claire Foy, Sverrir Gudnasson, Sylvia Hoeks, Vicky Krieps, Claes Bang
Länge: 117 Minuten
Verleih: Sony Pictures
Kinostart: 22. November 2018

FILMKRITIK:

Es ist schon lange her, seit sich die unkonventionelle Hackerin Lisbeth Salander (Claire Foy) und der von ihr heimlich angehimmelte Journalist Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason) gesehen haben. Erst ein neuer Fall führt die beiden zusammen, als es die NSA auf Lisbeth abgesehen hat. Sie hat Beweise für eine Verschwörung des Auslandsgeheimdienstes aufgedeckt, die auf gar keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Und um das zu verhindern, ist Lisbeths Gegnern jedes Mittel recht! Nachdem ihr Haus in Flammen aufgegangen ist und der Wissenschaftler Frans Balder ermordet wird, tickt für die vom Schicksal gebeutelte Hackerin langsam die Zeit herunter. Zum Glück kann sie sich auf Mikael verlassen, der längst die Fäden zusammengeführt hat, die alle zu Lisbeth führen. Und zu Balders hochintelligentem Sohn August, der der Schlüssel zu allem zu sein scheint…
 
Die Hintergrundgeschichte des vierten Romans der als „Millennium“-Trilogie bekannt gewordenen Thriller-Reihe des mittlerweile verstorbenen Schriftstellers Stieg Larsson ist so spannend, dass es für die Aufbereitung fast wieder einen Film bräuchte. Das im Deutschen „Verschwörung“ betitelte Buch hat nämlich nichts mehr mit der ursprünglichen Vision Stieg Larssons zu tun (sein Entwurf zum vierten Teil hält seine Witwe bis heute unter Verschluss vor Interessenten und der Öffentlichkeit), die er einst für seine kultige Hauptfigur Lisbeth Salander vorgesehen hatte. Nach seinem Tod schrieb der Journalist David Lagercrantz nach Absegnung von Larssons Familie einen unabhängig von der Trilogie gedachten vierten Band rund um die Hackerin. Absprachen zum Inhalt gab es mit den Angehörigen allerdings nicht und Larsson selbst konnte der Veröffentlichung natürlich auch nicht mehr entgegenwirken. Ob er das überhaupt gewollt hätte, wissen wir nicht. Was allerdings vermutet werden darf: Mit der Verfilmung von „Verschwörung“, einer Art Quasi-Fortsetzung des 2012 erschienenen Hardcore-Thrillers „Verblendung“ von David Fincher, der ursprünglich auch mal die Teile zwei und drei inszenieren sollte, kann Niemand zufrieden sein. Dabei beweist sich Claire Foy („Unsane“) als ihren Vorgängerinnen absolut ebenbürtige Lisbeth Salander und Regisseur Fede Alvarez versteht das visuelle Einmaleins des Genrekinos. Doch die Geschichte selbst kommt kaum in Fahrt.
 
Es gibt Dinge, die fallen einem beim ersten Schauen eines Films meist gar nicht auf, sofern einen denn die Handlung so richtig packt. Anschlussfehler sind so ein Beispiel dafür. „Verschwörung“ ist voll von ihnen; von ungenauen Kamerafahrten, plötzlichen Perspektivwechseln und fehlender Kontinuität – und dass einem das auch immer sofort bewusst wird, liegt vor allem daran, dass man sehr lange einfach überhaupt nicht weiß, worum es in „Verschwörung“ eigentlich geht. Bis zur Hälfte des mit zwei Stunden nicht gerade kurz ausfallenden Films macht das Skript von Fede Alvarez, Jay Basu („Song of Songs“) und Steven Knight („Allied: Vertraute Fremde“) so viele Handlungsstränge auf und führt Figuren ein, dass man den eigentlichen Fokus der Geschichte lange Zeit nicht erkennt. Darunter leiden vor allem zwei Dinge: die Hauptfigur, über die man ohne das Wissen aus den Büchern oder den bisherigen Filmen absolut nichts erfährt. Sie ist in „Verschwörung“ einzig und allein eine handelnde Person, eventuelles Background-Wissen erhält man lediglich dann, wenn es für die Story relevant ist. Zum anderen geht all das aber auch zu Lasten der Spannung. Bevor hier endlich mal irgendwas „zur Sache geht“, führen die Figuren erst einmal ellenlange Dialoge und rennen von A nach B; einzelne Spannungsspitzen wie eine schmuck gefilmte Explosion oder eine sehr stylisch in Szene gesetzte Prügelei sind Ausnahmeerscheinungen.
 
Fede Alvarez hat mit „Don’t Breathe“ und dem „Evil Dead“-Remake zwei moderne Meilensteine des Horrorkinos inszeniert. Vor allem sein Gespür für düstere Ästhetik kamen in beiden Werken auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck. Diese Stärke besitzt auch „Verschwörung“. Wenn die Kamera hier durch die verschneite Landschaft des schwedischen Hinterlandes gleitet, oder im Finale die Enge in einer alten Fabrikhalle optimal ausnutzt, damit auch möglichst alles nochmal extrabeklemmend erscheint, dann kommen hier klar die Stärken des virtuosen Filmemachers durch. Auch aus seiner Hauptdarstellerin, die alle anderen Schauspielerinnen und Schauspieler mühelos in den Schatten stellt, holt Alvarez das Optimum an abgefuckter Coolness heraus – wenn wir schon keine Hintergrundgeschichte präsentiert bekommen, dann darf das, was Lisbeth macht, wenigstens so richtig geil aussehen. Doch gegen das bisweilen hanebüchene Skript, das besonders gern auf den Zufall setzt und seine agierenden Figuren mehr als einmal ziemlich dumm aussehen lässt, kann auch sie nichts ausrichten. „Verschwörung“ ist leider eine Enttäuschung.
 
Antje Wessels