Wind River

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Das fulminante Regiedebüt von Taylor Sheridan ist mehr als ein atmosphärisch dichter Thriller. Sein aufwühlendes Independent-Kino lenkt den Blick auf das immer wieder verdrängte Schicksal der amerikanischen Ureinwohner, insbesondere der Frauen, in den trostlosen Reservaten. Nach langer Zeit kratzt damit wieder ein sehenswerter Film am heroisierenden Mythos der US-Pionierzeit und zeigt schonungslos die Wunden der kolonialen Freiheit. Hauptdarsteller Jeremy Renner beweist dabei beeindruckend, dass sein Metier nicht nur Action-Blockbuster und Comicverfilmungen sind. Neben Elisabeth Olsen als FBI-Agentin brilliert der 46jährige als einsamer Jäger mit subtiler Emotionalität.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

USA 2017
Regie: Taylor Sheridan
Drehbuch: Taylor Sheridan
Darsteller: Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Gil Birmingham, Jon Bernthal, Kelsey Asbille, Julia Jones.
Kamera: Ben Richardson
Länge: 111 Minuten
Verleih: Wildbunch Germany
Kinostart: 8. Februar 2018
 

FILMKRITIK:

Panisch läuft eine junge Frau barfuß durch die eisige, nächtliche Schneelandschaft. In der Ödnis von Wyoming, dem ländlich geprägten Westen der USA, rennt sie um ihr Leben. Die bitterkalte Luft in ihren Lungen lässt die Äderchen platzen. Sie erstickt im Wind-River-Reservat der Native Americans an ihrem eigenen Blut. Tage später findet Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) die Leiche der vergewaltigten, geschändeten 18jährigen Natalie Hanson (Kelsey Asbille). Der Fährtenleser verlor selbst vor einiger Zeit seine 16-jährige Tochter. Sie gilt als vermisst. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Das schreckliche Trauma verfolgt ihn.

Seine Ehe zerbrach an diesem Schicksalsschlag. Seitdem lebt er getrennt von seiner Frau Wilma (Julia Jones), Angehörige eines der Stämme, die hier hoffnungslos leben müssen. Die trostlose Gegend bietet niemandem eine Zukunft. Dass eine unerfahrene FBI-Agentin (Elisabeth Olsen) aus Florida zur Untersuchung des Falls geschickt wird, zeigt Cory welchen Stellenwert die Regierung den Ermittlungen beimisst. Doch Jane Benner, die frisch von Ausbildung kommt, bemerkt bald, dass sie ohne seine Hilfe auf diesem für sie fremden Terrain nichts ausrichten kann. Und für den einsamen, umsichtigen Jäger Lambert bietet sich so die Gelegenheit dem Verschwinden seiner Tochter auf die Spur zu kommen. Ein düsterer Racheprozess bis hin zum nervenzerreißenden Showdown beginnt.

Das ungleiche Ermittlerduo Jeremy Renner und die 25jährige Elizabeth Olsen stand bereits in den actionreichen „Avengers“-Filmen von Marvel gemeinsam vor der Kamera. In Taylor Sheridans fulminantem Regiedebüt verleihen die beiden ihren Szenen, ohne Superheldenstatus, ernsthaftes Gewicht und dramaturgische Tiefe. An ihrer Seite agieren bemerkenswerte Nebendarsteller, wie etwa Gil Birmingham als trauernder Vater der Ermordeten. Als Angehöriger der Komantschen gehört er zur Riege amerikanischer Ureinwohner, die zur Glaubwürdigkeit des Films beitragen. Marlon Brando schickte einst zu seiner Oscarverleihung die indianische Aktivistin „Sacheen Littlefeather“. Sie verlangte in seinem Namen „mehr Respekt gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern durch die Filmindustrie“. Und den beweist Sheridans kompromissloses Independent-Kino mit seinem aufwühlenden Rachethriller aus dem größten Reservat der USA ausnahmslos.

Nach langer Zeit kratzt damit wieder ein sehenswerter Film am heroisierenden Mythos der US-Pionierzeit und zeigt die Wunden der kolonialen Freiheit. Wenn im Abspann darauf hingewiesen wird, dass keine Statistik über die vermissten Frauen aus den Reservaten existiert, brandmarkt er Rassismus und Sexismus gleichermaßen. Die Ursachen des Elends in den Reservaten, angefangen von Alkoholismus, Drogen und Arbeitslosigkeit, lässt er anklingen. Landraub, Zwangsumsiedlung, Ausbeutung und gnadenlose Unterdrückung der Kultur zeigen ihre Fratze. Und die jüngste Geschichte passt ins Bild. Vergebens kämpften Sioux monatelang mit anderen Stämmen und Umweltschützern gegen eine Pipeline, die von North Dakota durch mehrere Bundesstaaten bis nach Illinois verlaufen soll. Sie wehrten sich dagegen, weil sie durch heilige Stätten auf dem Land ihrer Vorfahren führt. Zudem befürchteten sie eine Verseuchung ihres Trinkwassers durch Lecks in der Leitung. Und tatsächlich sind unterirdisch bereits 800.000 Liter Öl ausgelaufen.

Luitgard Koch