Belfast

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Vermutlich weil er mit Verfilmungen von Shakespeare-Stücken berühmt wurde ist kaum bekannt, dass Kenneth Branagh kein Engländer ist, sondern aus Nordirland stammt. Ende der 60er Jahre kehrten seine Eltern ihrer Heimat den Rücken, was für den jungen Branagh wohl nicht einfach war, dem älteren nun aber den Stoff zu seinem autobiographischen Film „Belfast“ liefert, der mit viel Humor und mancher Sentimentalität eine Ode an die irische Seele ist.

Website: https://www.upig.de/micro/belfast

GB 2021
Regie & Buch: Kenneth Branagh
Darsteller: Jude Hill, Caitríona Balfe, Judi Dench, Jamie Dornan, Ciarán Hinds, Colin Morgan
Länge: 98 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 24. Februar 2022

FILMKRITIK:

Im August 1969 wurde der Nordirlandkonflikt blutig. Die katholische Mehrheit hatte genug davon, seit Jahrzehnten von der protestantischen Minderheit unterdrückt zu werden und ging auf die Barrikaden. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Hauptstadt Belfast wurde fortan von anfangs behelfsmäßigen, bald ausgebauten Trennwänden geteilt, die bis Ende der 90er Jahre die verfeindeten Bevölkerungsblöcke trennte.

Wie aus heiterem Himmel endete mit diesen Ereignissen die Kindheit des damals neunjährigen Kenneth Branagh, der im Film nur Buddy (Jude Hill) genannt wird. Auch Eltern und Großeltern heißen nur Ma (Caitríona Balfe) und Pa (Jamie Dornan) bzw. Granny (Judi Dench) und Pop (Ciarán Hinds), was andeutet, dass man es bei „Belfast“ weniger mit einem wirklich authentischen Blick auf eine Kindheit zu tun hat, als mit einem stilisierten Blick zurück in ferne, manchmal auch verklärte Vergangenheit.

Lose Episoden seiner Kindheit beschreibt Branagh, zeigt wie Buddy die sich verändernde Situation wahrnimmt, wie seine Eltern unabsichtlich zwischen die Fronten des Konflikts geraten. Zwar sind die Eltern Protestanten, doch sie sind unpolitisch und wollen am liebsten nichts mit der zunehmenden Gewalt zu tun haben. Doch der Anführer der Protestanten des Viertels verlangt Loyalität und wer nicht bereit ist, sie zu geben, der hat es zunehmend schwer. Schnell kristallisiert sich heraus, dass die Familie in Belfast keine Zukunft hat und so trifft Pa den Entschluss, nach England zu ziehen. Dass Buddy wenig begeistert ist, den Orten seiner Kindheit den Rücken zu kehren ist klar, aber vor allem sind es seine geliebten Großeltern, die zu verlassen ihm widerstrebt.

Nicht nur, dass „Belfast“ in schwarz-weiß gedreht wurde, lässt ihn wie eine irische Version von Alfonso Cuarons „Roma“ wirken, zumal inzwischen auch Kenneth Branaghs Film als heißer Kandidat für die nächste Oscar-Verleihung gilt. Kein Wunder, denn Branagh erzählt mit leichter Hand eine Coming-of-Age-Geschichte voller skurriler Momente, herzergreifender Trennung von den Großeltern und sanft verpackten Lebenslektionen.

Immer wieder droht „Belfast“ zwar ins sentimentale abzudriften, manches Mal verlässt sich Branagh etwas zu sehr auf den Charme seines jungen Hauptdarstellers Jude Hill, der in seinem ersten Film mit beeindruckender Souveränität zwischen Schauspielstars agiert.

Dass die politischen Dimensionen des Nordirlandkonflikts praktisch komplett außen vor bleiben mutet etwas seltsam an, doch Branagh hat ein Konstrukt gefunden – vielleicht auch erfunden – das es ihm ermöglicht, keine Position beziehen zu müssen: Denn nicht zwischen Katholiken und Protestanten entsteht im Film Streit, sondern zwischen zwei Protestanten. Dass mag wie eine etwas billige Ausflucht wirken, passt andererseits zum Ziel von „Belfast“ das Leben eines neunjährigen ganz aus Kindheitsperspektive zu erzählen.

Dementsprechend verklärt muten die Ereignisse bisweilen an, Kinobesuche des jungen Buddy werden zu überdimensionalen Erlebnissen, die Mutter wird zur Madonna-gleichen Heiligen stilisiert und am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf. Die ein oder andere Ecke oder Kante hätte „Belfast“ zwar gut getan, dennoch weiß Kenneth Branaghs lose autobiographische Ode an seine Heimat mit irischem Humor und mancher Sentimentalität zu gefallen.

Michael Meyns