Bori

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Außenseitertum, der Wunsch, dazuzugehören, sind klassische Themen für einen Film mit einer elfjährigen in der Hauptrolle, doch Kim Jin-Yu wählt in seinem Debütfilm „Bori“ einen besonderen Ansatz. Das Mädchen Bo Ri hat taubstumme Eltern, wodurch sich Bo Ri zunehmend als Außenseiterin fühlt und erst langsam erkennt, dass es dafür gar keinen Grund gibt.

Website: https://barnsteiner-film.de/bori/

Korea 2019
Regie & Buch: Kim Jin-Yu
Darsteller: Kim Ah-Song, Lee Rinn Ha, Kwak Jin-seok, Heo Ji Na, Hwang Yoo Rim, Choi Dae-Sung
Länge: 110 Minuten
Verleih: Landfilm/barnsteiner-film
Kinostart: 16.9.2021

FILMKRITIK:

Sich als elfjähriges Mädchen als Außenseiterin zu fühlen ist nicht ungewöhnlich. Der Grund, weswegen sich Bo Ri nicht recht zugehörig fühlt, ist jedoch alles andere als gewöhnlich. Denn Bo Ri ist die Tochter von taubstummen Eltern, auch ihr jüngerer Bruder Jung-Woo ist gehörlos, während Bo Ri spricht und hört wie ein „normales“ Kind. Was „normal“ ist fragt sich Bo Ri im Laufe der Geschichte immer wieder, was bedeutet es, mehr oder weniger Anders, in diesem Fall wie ihre Eltern und ihr Bruder gehörlos in einer Welt der Hörenden zu sein?

Das Familienleben von Bo Ri könnte nicht harmonischer sein, ihre Eltern sind liebevoll und kümmern sich rührend um die Kinder. Vor allem aber um Jung-Woo. Nicht nur, weil er jünger als Bo Ri ist, sondern weil er als Gehörloser auch mehr Unterstützung zu brauchen scheint als die selbstständige Bo Ri. Während Jung-Woo ganz Kind sein darf, werden Bo Ri schon viele Aufgaben übertragen, sie ist das Sprachrohr der Familie, bestellt am Telefon Essen, redet, wo die Eltern schweigen müssen.

Wäre ihr Leben nicht schöner, wäre sie nicht mehr Teil ihrer Familie, wenn auch sie gehörlos wäre? Allein ihrer Freundin Eun-jeong teilt Bo Ri ihren großen Wunsch mit, den sie zunächst mit lauter Kopfhörermusik erreichen möchte. Doch dann sieht sie im Fernsehen eine Sendung über eine Frau, die nach einem zu langen Tauchgang ihr Gehör verloren hat und fasst einen Plan.

Als sie beim Schwimmen ohnmächtig wird und im Krankenhaus aufwacht, tut Bo Ri so, als wäre sie nun auch gehörlos – und beginnt das Leben von einer anderen Seite zu sehen. Plötzlich bemühen sich Verkäuferinnen in einem Geschäft nicht mehr leise zu sein, wenn sie ihre abfälligen Bemerkungen über Bo Ris Familie machen und auch in der Schule ist sie nun Außenseiterin.

Regisseur Kim Jin-Yu ist selbst der Sohn einer gehörlosen Mutter, ein Erfahrungsschatz, den man seinem Debütfilm anmerkt. Wie er vom Leben von Bo Ri und ihrer Familie erzählt, mutet mit seinen bukolischen Landschaftsaufnahmen, der lieblichen Musikuntermalung zwar bisweilen etwas süßlich an, ist aber deutlich von einem großen Wissen um das Leben von Gehörlosen geprägt.

Einen Problemfilm wollte Kim jedoch dezidiert nicht drehen, dass Eltern und Bruder nicht sprechen und hören wird nicht als große Tragik beschrieben, sondern als Tatsache, mit der man sich arrangieren kann, die vor allem nicht davon abhält, ein vollkommen normales Leben zu führen. Ganz ohne Brüche und Konflikte läuft dieses Leben allerdings nicht ab, das Gefühl, Anders zu sein, lässt sich kaum ignorieren.

Eine zarte Melancholie durchzieht den Film, wenn Bo Ri langsam versteht, wie schwer es für ihren Bruder ist, von seinen Schulkameraden, die nur vielleicht seine Freunde sind, akzeptiert zu werden, und wie es wirklich in ihren Eltern aussieht, kann sie nur ahnen. Haben sie sich mit ihrem Schicksal arrangiert? Ignorieren sie abfällige Blicke einfach? Ohne zu moralisieren erzählt Kim Jin-Yu vom Anderssein und der schwierigen Frage, wie tolerant eine Gesellschaft – in diesem Fall die koreanische – tatsächlich ist.

Michael Meyns