Bulldog

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Ménage a trois einmal anders. In seinem Debüt zeigt Regisseur André Szardenings einen jungen Mann mit übertrieben enger Mutterbindung, den eine plötzlich auftauchende Bettgenossin seiner Mama in Hass und Eifersucht treibt. Mit drei großartigen Schauspielern lotet das Dreiecksdrama die problematischen Facetten symbiotischer Ko-Abhängigkeit aus. Und zwar nicht in düsteren Farben, sondern in der sommerlichen Leichtigkeit einer spanischen Ferieninsel.

Website: www.missingfilms.de

Deutschland, Spanien 2022
Regie: André Szardenings
Drehbuch: André Szardenings
Darsteller: Julius Nitschkoff, Lana Cooper, Karin Hanczewski, Moritz Führmann, Zoe Trommler
Länge: 95 Minuten
Verleih: Missing Films
Kinostart: tbd

FILMKRITIK:

Die Leinwand ist noch schwarz. „Zwei, eins, ich komme“, ruft eine Stimme aus dem Off. Die erste Einstellung zeigt einen Jungen mit umgedrehter Basecup. Ist der nicht etwas zu alt fürs Versteck-Spielen? Die Handkamera folgt ihm dicht auf den Fersen, läuft mit ihm vom Turm einer Badeanlage zu einem Gebüsch. Erwischt. Das Mädchen mit den rötlichen Armen will sich nicht geschlagen geben, rennt weg, spielt jetzt fangen. Aber ist es wirklich ein Mädchen, mit dem sich der junge Mann auf dem Gras wälzt, als wären die beiden frisch verliebt? Nein, ein paar Minuten später sagt der junge Mann „Mama“ zu ihr. Damit ist in wenigen Einstellungen eine nicht nur höchst ungewöhnliche, sondern auch äußerst symbiotische Mutter-Sohn-Beziehung umrissen. Wie zwei Teenager albern der bald 21-jährige Bruno (Julius Nitschkoff) und seine nur 15 Jahre ältere Mutter Toni (Lana Cooper) durch die Frühsommertage auf einer spanischen Ferieninsel.

Regisseur André Szardenings, der auch für Drehbuch und Kamera zuständig ist, tut gut daran, nur die nötigsten Fakten über Bruno und Toni preiszugeben. Seit zwölf Jahren leben die beiden Deutschen auf der Insel, verdienen ihre Brötchen als Zimmermädchen bzw. Zimmerjunge, ohne mehr zu wollen, als Spaß zu haben und zusammen zu sein. Wie sie hierhergekommen sind, was sie zusammenschweißt und ob sie noch familiäre Kontakte nach Deutschland haben, bleibt offen. Im Zentrum steht allein ihre innige Beziehung, die für beide Seiten völlig normal, liebevoll und erfüllend zu sein scheint. Würde der Film hier psychologisieren, wäre sein Potenzial verschenkt, weil er in banale Küchenpsychologie abrutschen würde. Aber die Zuschauenden dürfen sich natürlich ihre Gedanken machen. Hat Toni als derart junge Mutter nicht ihre Pubertät versäumt und bleibt nun in ihr stecken? Und war sie nicht überfordert mit einer derart frühen Verantwortung und konnte ihre Elternrolle deshalb niemals ausfüllen?

Der Film lässt dem Publikum Zeit, das symbiotische Glück in seinen Details zu studieren, zärtlich-verspielt und stets nahe am Inzest. Doch eines Tages kommt Bruno zurück in den Ferien-Bungalow, in dem die beiden Jobber die spanische Sonne genießen – und auf dem Balkon steht Hannah (Karin Hanczewski), offenbar mit Toni flirtend und turtelnd. Schock, lodernde Eifersucht. Bruno findet das Bett, das er mit seiner Mutter teilte, von „der Alten“, wie er die Nebenbuhlerin nennt, belegt. „Bist du jetzt lesbisch, oder was“, will er von der experimentierfreudigen Toni wissen, die gerne jedes Vergnügen mitnimmt, das ihr der Zufall bietet.

Auf dem Papier mögen die Grundkonstellation und der Konflikt ausgedacht wirken. Aber die Inszenierung setzt ganz auf die sommerliche Leichtigkeit, die Ferienstimmung und die damit verbundene Ausgelassenheit. Im Presseheft erzählt der Regisseur, dass er in genau demselben Bungalow als Kind den Urlaub mit seiner Familie verbrachte. Er bewegt sich also nicht nur wie selbstverständlich im vertrauten Setting, sondern lädt es mit Erinnerungen auf und macht den Schauplatz zu einer Art viertem Hauptdarsteller.

Warum der Film „Bulldog“ heißt, bleibt unklar. Vielleicht hat es mit der Physiognomie von Hauptdarsteller Julius Nitschkoff, einem jungen Mann mit breiten Schultern, den der Regisseur häufig mit bloßen Oberkörper ins Bild rückt. Schon bei der Drehbuchentwicklung für diese Abschlussarbeit an der Filmhochschule Köln hatte der Nachwuchsfilmemacher den jungen Darsteller vor Augen. Er schrieb ihm die Rolle quasi auf den Leib – auf einen äußerlich sehr männlichen Körper, in dem eine verletzliche, eher feminine und abhängige Seele wohnt.

Julius Nitschkoff übertrifft die in ihn gesetzten Erwartungen in jeder Einstellung. Er trägt den Film, aus seiner Perspektive blickt die stets nahe Kamera auf die noch wenig bevölkerte Ferienanlage und die beiden Frauen. Sein Gesicht allein spiegelt die innere Reise, die durch Hannahs Ankunft in Gang gesetzt wird und die eine letztlich doch problematische Ko-Abhängigkeit ins Wanken bringt. Das ist mit großer Wahrhaftigkeit gespielt und macht aus einem kleinen, mit wenig Geld gedrehten Erstlingsfilm ein intensives Beziehungsdreieck, das in seiner inneren Spannung über die eher dünne Handlung hinweghilft.

Peter Gutting