Corsage

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Revisionistische Geschichtsstunden sind En Vogue, gerade wenn es um Frauenfiguren geht, die im Zuge der #metoo-Bewegung durch eine feministische Brille gelesen werden, die nicht immer der Realität entspricht. Auch Marie Kreutzer imaginiert in ihrem Film „Corsage“ ein Bild der österreichischen Kaiserin Elisabeth, das oft mehr dem Zeitgeist als der Historie entspringt, aber dank einer herausragenden Vicky Krieps in der Hauptrolle jederzeit fesselt.

Österreich/Luxemburg/Deutschland/Frankreich 2022
Regie & Buch: Marie Kreutzer
Darsteller: Vicky Krieps, Florian Teichtmeier, Colin Morgan, Finnegan Oldfield, Tam´s Lengyel, Manuel Rubey, Alma Hasun

Länge: 113 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 7. Juli 2022

FILMKRITIK:

Am 24. Dezember 1877 wird Kaiserin Elisabeth von Österreich (Vicky Krieps) 40 Jahre alt. Kein Alter eigentlich, aber für die Monarchin, die zu den meist gemalten Personen ihrer Zeit gehört, die eine Art Popstar avant la lettre ist, dennoch eine Zeit des Zweifelns. Unweigerlich sind Fältchen auf ihrem Gesicht zu erkennen, ist ihre Haut nicht mehr so glatt und makellos wie einst, nagt der Zeit auch an einer Kaiserin.

Am Hof treibt sie zwar Sport, hält unterschiedliche Diäten, herrscht ihre Bediensteten an, ihr Korsett doch gefälligst strammer zuzuziehen, doch die Unzufriedenheit ist ihr anzusehen. Während ihr Gemahl Franz Joseph (Florian Teichtmeier) sich mit den Staatsgeschäften rumschlägt und den langsamen, aber unaufhaltsamen Zerfall der K. und K. Doppelmonarchie verwaltet, macht sich Elisabeth auf eine Reise zu Verwandten, Freunden und ehemaligen Liebhabern.

Lose folgt Autorin und Regisseurin Marie Kreutzer dabei der Geschichte, nimmt sich jedoch viele erzählerische Freiheiten. Vermutete Affären Elisabeths werden so zu tatsächlichen, eine Begegnung mit einem Pionier der Kinematographie erfolgt ein paar Jahre zu früh, moderne Popsongs begleiten nicht nur auf dem Soundtrack das Geschehen, sondern werden – wie im Fall von „As Tears Go By“ – gar von einer Hofdame Elisabeths auf der Harfe gespielt.

„Corsage“ erzählt, wie der wenig subtile Titel ankündigt, von einer Frau, die in den Zwängen ihrer Zeit feststeckt, die Normen entsprechen muss, die schön und unnahbar sein soll und dieses Spiel auch lange Zeit bewusst mitgespielt hat. Unweigerlich muss man hier an einem Film wie“ Spencer“ denken, in dem Kirsten Stewart die (fiktive) Emanzipation der Lady Diana Spencer dargestellt hat. Dass Elisabeth bei einem Besuch bei englischen Verwandten auch einen Spencer trifft ist gewiss kein Zufall. Hier wie da werden Emanzipationsgeschichten erzählt, wird die historische Realität mehr oder weniger verbogen, um dem Zeitgeist zu entsprechen.

Gerade Elisabeth ist im deutschsprachigen Raum eine Figur, deren Bild wie kaum ein anderes durch die Medien, durch das Kino geprägt ist. Die drei „Sissi“-Filme, in denen Romy Schneider die Kaiserin spielte laufen immer noch regelmäßig im Fernsehen, in Wien verkauft jeder Souvenirladen Elisabeth-Devotionalien, Schneider selbst dekonstruierte ihre berühmte Rolle Anfang der 70er Jahre in Luchino Viscontis „Ludwig II“, und gerade erlebt das deutsche Fernsehen und Kino einen Elisabeth-Boom: Letztes Jahr eine RTL-Serie, nun „Corsage“, später im Jahr eine Netflix-Serie, bald Frauke Finsterwalders Film „Sisi und Ich.“

Mal unterwürfig, mal emanzipiert, mal sexualisiert: Ganz unterschiedliche Version der Elisabeth zeigten diese Filme und erzählten jeweils mehr über die Zeit, in der sie entstanden, als über die österreichische Kaiserin selbst. Und so reiht sich auch „Corsage“ in eine lange Reihe von Filmen ein, die die historische Figur von Elisabeth nehmen und mit einem eigenen Blick interpretieren. Höchst modern ist die Elisabeth, wie sie hier von Vicky Krieps gespielt wird, einer Schauspielerin, die stets etwas irritierendes ausstrahlt, die stets ein wenig losgelöst wirkt. Perfekte Projektionsfläche also für die ebenso moderne, wie zeitgeistige Interpretation einer historischen Figur, die längst Teil der Popkultur geworden ist.

 

Michael Meyns