Das Blau des Kaftans

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Fachkräftemangel, Krankheit und die Folgen einer maschinengetriebenen Textilwirtschaft sind vordergründig drei Aspekte, die in Maryam Touzanis Orientdrama eine kleine Schneiderwerkstatt für kunstvoll und traditionell genähte Kaftane in Existenznöte bringen. Verhandelt wird aber auch das Verhältnis einer langjährigen ehelichen Beziehung und wie die beiden Partner damit umgehen, dass der neue begabte Lehrling dem Geschäft nicht nur fachlich guttut, sondern es auch auf emotionaler Ebene zu Veränderungen kommt. Der marokkanischen Regisseurin ist nach ihrem vielfach preisgekrönten Spielfilmdebüt „Adam“ nun erneut ein starkes Drei-Personen-Stück gelungen, dass optisch farbenfroh und inhaltlich dezent von homosexuellen Neigungen in einer Welt, die diese offiziell nicht duldet, erzählt. Leise und einfühlsam wird von der Liebe und einem alten Beruf erzählt. Der Kaftan steht dabei symbolisch für Dinge, die fremden Blicken verhüllt werden.

Le Bleu du Caftan
Frankreich/Marokko/Belgien/Dänemark 2022
Regie: Maryam Touzani
Mit: Lubna Aznabal, Saleh Bakri, Ayoub Missioui

Länge: 124 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 16.03.2023

FILMKRITIK:

„Ein Kaftan muss denjenigen, der ihn trägt, überleben.“ Es ist der Maßschneider Halim (Saleh Bakri), der diesen Anspruch an seine teils schon kunsthandwerkliche Schneiderarbeit definiert. Zusammen mit seiner Frau Mina (Lubna Azabal) betreibt er in der Medina einer marokkanischen Stadt ein Atelier für die in feinster Handarbeit genähten traditionellen Gewänder. Die Auftragslage ist gut, zu zweit kommen sie kaum hinterher, zumal Mina mit den Folgen einer schweren Krankheit zu kämpfen hat. Verlässliche Mitarbeiter zu finden allerdings ist schwer. Mit Youssef (Ayoub Missioui) findet das seit über 25 Jahren verheiratete Paar aber eines Tages dann doch einen talentierten Lehrling, der handwerklich geschickt ist. Mina beobachtet, wie sich zwischen dem Azubi und ihrem Mann bald ein über das Geschäftliche hinausgehendes Verhältnis entwickelt.

Die marokkanische Ex-Journalistin und Regisseurin Maryam Touzani, deren 2019 entstandenes Spielfilmdebüt „Adam“ über eine alleinerziehende Bäckersfrau, die einer Schwangeren Asyl gewährt, vor noch nicht allzu langer Zeit in deutschen Kinos lief - auch damals mit Lubna Azabal, die 2010 für Denis Villeneuve in „Incendies“ die Frau, die singt, war, in der Hauptrolle – breitet ihre Geschichte so sanft und samten aus wie den blauen Stoff eines Kaftans in der Eingangssequenz. Sie erzählt von der Homosexualität eines Mannes, der sein Verlangen bei regelmäßigen Besuchen im Hamam auslebt, den Anschein einer intakten Ehe aber dahingehend währt, indem er seine Gattin Mina mit ins Caféhaus nimmt, wo sie die einzige Frau unter den Gästen ist. Mina ist sich der Gefühle ihres Mannes bewusst, trotzdem kann sie eine leichte Eifersucht nicht unterdrücken, als Lehrling Youssef in ihrer Lebenswelt auftaucht und sich ihr Mann zu verändern scheint.

Homosexuelle Handlungen sind in Marokko bis heute unter Strafe gestellt. Touzani zeigt das Begehren deshalb bewusst diskret, bleibt mit der Kamera draußen, wenn Halim mit einem Sexpartner hinter der Türe einer Hamam-Einzelkabine verschwindet. Sie bleibt aber auch ebenso dezent, was die Schilderung der Krankheit Minas oder persönliche Aspekte der Vergangenheit ihres Mannes wie auch Youssufs, dessen Figur am wenigsten beleuchtet wird, anbelangt. Wie Halim feststellt, sorgt seine Frau durch die Wandlung, die sie im Laufe des Films vollzieht dafür, dass das mögliche Konfliktpotenzial im privaten Rahmen versteckt bleibt. Und genau hierin liegt die große Kraft dieses zurückhaltenden, vielschichtigen und von Blicken und Gesten lebenden sowie einer auf sinnliche Weise das Kaftanschneidern in Details beschreibenden Drei-Personen-Stücks: es erzählt von einer Liebe, die wie ein Kaftan ein Leben überdauert.

 

Thomas Volkmann