Der Hochzeitsschneider von Athen

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Die liebenswerte Komödie entfaltet ihren Zauber erst nach und nach, ähnlich wie ein kleiner Diamant, der im richtigen Licht zu strahlen und zu funkeln beginnt. Obwohl die Geschichte vom menschenscheuen Herrenschneider, der sein Leben neu sortieren muss, auf den ersten Blick eher unspektakulär wirkt, wird sie doch immer sympathischer. Wie der scheue Nikos einen Neuanfang als Designer von Hochzeitskleidern wagt, macht ihn schließlich zum Helden, dem alle Herzen zufliegen. Mit einem Hauch von surrealem Humor, der manchmal an Mr. Bean oder an den unsterblichen Monsieur Hulot erinnert, findet Sonia Liza Kenterman für die Visualisierung ihres Kinodebüts ihren ganz eigenen Stil: ideenreich, elegant und wunderbar passend zu ihrer optimistischen wie auch originellen Geschichte.

Website: www.neuevisionen.de/de/filme/der-hochzeitsschneider-von-athen-71

Tailor
Deutschland, Belgien, Griechenland 2020
Regie: Sonia Liza Kenterman
Drehbuch: Sonia Liza Kenterman, Tracy Sunderland
Darsteller: Dimitris Imellos, Tamila Koulieva, Thanasis Papageorgiou,
Länge: 100 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 26.8.2021

FILMKRITIK:

Die Geschäfte laufen schon länger nicht mehr bei Nikos. Er betreibt einen Laden für maßgeschneiderte Herrenanzüge, den er von seinem Vater übernommen hat. Inzwischen ist Nikos über 50, ein Gentleman der alten Schule, stets korrekt in feinsten Zwirn gekleidet; der dreiteilige Anzug mit Krawatte, Einstecktuch und Weste ist seine Berufskleidung, an der jedes kleinste Detail stimmen muss. Kein Fädchen darf heraushängen, kein Fältchen trübt den perfekt gebügelten Eindruck, alles sitzt einwandfrei. Aber all der Aufwand ist vergebens, denn es verirren sich kaum noch Kunden in den Laden. Als aufgrund der finanziellen Probleme die Bank mit Zwangsvollstreckung droht und sein Vater auch noch ins Krankenhaus muss, kommt Nikos auf die Idee, mit seinen Anzügen zu den Menschen zu gehen, wenn sie schon nicht zu ihm kommen. Er baut sich einen mobilen Marktstand, muss aber bald erkennen, dass seine Preisgestaltung die Möglichkeiten seiner Kundschaft deutlich übersteigt. Und nicht nur das: Es interessiert sich auch kaum jemand für seine Anzüge. Stattdessen sind billige Kleider für Frauen gefragt, besonders Hochzeitskleider – eine große Herausforderung für den scheuen Nikos, der sich weder mit Frauen noch mit ihrer Garderobe auskennt. Mit Hilfe seiner handwerklich geschickten Nachbarin Olga gewinnt Nikos die ersten Kundinnen, er lernt schnell dazu, und es dauert nicht lange, bis sich der Erfolg einstellt: Die preiswerten, maßgefertigten Festkleider werden zum Verkaufsschlager. Olgas Ehemann beäugt misstrauisch die Aktivitäten seiner Frau, denn er erkennt, dass sich Nikos und Olga über die Arbeit näherkommen und immer besser verstehen. Veränderungen stehen an. Für Nikos wird es langsam Zeit, Entscheidungen zu treffen, man könnte auch sagen: endlich erwachsen zu werden.

Nikos ist ein Mann, der nicht nur aus der Zeit gefallen ist, sondern irgendwie, aufgrund von Perfektionismus und Leidenschaft für seinen Beruf, bis jetzt das Leben verpasst hat. Hinzu kommt, dass er sehr schweigsam ist. Möglicherweise wirkt Nikos in seiner klassischen Eleganz sogar abschreckend auf andere, und das, obwohl er über ausgezeichnete Umgangsformen verfügt. Eigentlich müsste Nikos attraktiv auf Frauen wirken: ein buchstäblich vom Kopf bis zur Sohle schicker und gepflegter Mann. Aber tatsächlich ist Nikos nicht nur sehr still, er ist auch sehr schüchtern. Dimitris Imellos spielt mit sehr viel Sensibilität und zurückhaltendem Charme diesen scheuen und würdevollen Einzelgänger, der selbstverständlich in einem frisch gebügelten Arbeitskittel auf den Schrottplatz geht. Zum Grandseigneur fehlt ihm nur noch das Selbstvertrauen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden …

In seiner bescheidenen, beinahe gehemmten Art erinnert Imellos‘ Spiel an den älteren Buster Keaton: der stoische, beinahe etwas traurige Gesichtsausdruck, die sparsame Mimik, aber auch der versteckte Humor gehören dazu. Olga (Tamila Koulieva) ist ebenfalls eher ruhig, doch sie hat so etwas wie ein Sprachrohr in Gestalt ihrer Tochter Victoria (Dafni Michopoulou), die schon länger mit Nikos befreundet ist und zu Beginn den einzigen Kontakt zwischen ihm und der Welt draußen darstellt. Tamila Koulieva spielt die Olga als patente, intelligente Frau mit vielen Fähigkeiten, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Sie gibt ihrer Rolle eine natürliche Eleganz und ein kleines, liebenswertes Lächeln mit auf den Weg, was in seiner im besten Sinne altmodischen Art an französische Gesellschaftskomödien aus längst vergangenen Zeiten erinnert. Olgas Mann hingegen bildet in jeder Hinsicht den Gegenpart zu den beiden Hauptpersonen: Er ist plump, wo Nikos elegant ist – außerdem unkultiviert und dämlich, ein ungehobelter Klotz. Seine grobschlächtige Gegenwart macht Olga noch feenhafter, kein Wunder also, dass Nikos bemerkt, wie gut er selbst zu Olga passen könnte.

Doch zum Erwachsenwerden gehört noch mehr als eine Liebesgeschichte und ein Weg in die Zukunft: Wünsche und Visionen sind ebenfalls notwendig. Die werden im Film zunächst einmal deutlich durch eine komplett veränderte Farbgestaltung von dem Zeitpunkt an, als Nikos anfängt, Damenkleider zu schneidern. Plötzlich wird seine graue Welt hell und freundlich, wo vorher die vornehme Zurückhaltung regierte, wird es plötzlich laut und lebendig. Zusätzlich werden Nikos‘ unterdrückte und erwachende Sehnsüchte von Sonia Liza Kenterman zu kleinen, surrealistischen Details verpackt, die über den Film verstreut sind wie die Spitzenblümchen über eines von Nikos‘ Hochzeitskleidern. Manchmal sind es visuelle Irritationen, manchmal einfach hübsche Gags, bei denen man sich fragen könnte: Habe ich das jetzt wirklich gesehen oder bilde ich mir das ein? So schnell sind sie vorüber, so unauffällig und mit geradezu nikosmäßiger Bescheidenheit kommen sie daher. Diese verspielten Finessen sind das Tüpfelchen auf dem i für eine feine, kleine Komödie, die auf charmante Weise von einer männlichen Selbstfindung erzählt.

Gaby Sikorski