Die Geschichte meiner Frau

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Auf dem Papier mutet „Die Geschichte meiner Frau“ unfehlbar an: Die gerade mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete Ildikó Enyedi verfilmt einen der berühmtesten Romane Ungarns mit internationaler Besetzung. Doch das Ergebnis enttäuscht, ist mit fast drei Stunden überlang und kann nur in Momenten die Kraft der Romanvorlage einfangen.

Website: www.alamodefilm.de

The Story of my Wife
Ungarn/ Frankreich/ Deutschland 2021
Regie: Ildikó Enyedi
Buch: Ildikó Enyedi, nach dem Roman von Milán Füst
Darsteller: Léa Seydoux, Gijs Naber, Louis Garrel, Luna Wedler, Ulrich Matthes
Länge: 169 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 14.10.2021

FILMKRITIK:

Es gibt viele Gründe zu heiraten, dass eine Ehe gegen Magenbeschwerden hilft dürfte zu den ungewöhnlicheren zählen. Sein Koch gibt Jacob Störr (Gijs Naber), Kapitän von schweren Cargo-Schiffen, jedoch genau diesen Rat, als Störr einmal mehr über Magenschmerzen klagt. Als Störr dann etwas später mit seinem zwielichtigen Bekannten Kodor (Sergio Rubini) in einem Restaurant sitzt, sagt er nur halb im Scherz, dass er die erste Frau heiraten wird, die durch die Tür treten wird. Eine etwas unansehnliche Matrone macht gerade noch kehrt und dann lässt das Schicksal Lizzy (Léa Seydoux) den Raum betreten. Kurz entschlossen spricht Störr sie an – und ist überrascht, dass Lizzy einwilligt, ihn zu heiraten. Aus dem spontanen, auch ein wenig willkürlichen Akt, wird eine Ehe geboren, die von Eifersucht und Misstrauen geprägt ist, in der Störr Monate abwesend ist, innige Zuneigung von zunehmender Aversion abgelöst wird und am Ende die Liebe siegt, doch erst als es viel zu spät ist.

1942 veröffentlichte der ungarische Lyriker und Philosoph Milán Füst seinen einzigen Roman „Die Geschichte meiner Frau“, der zu den bedeutendsten Werken der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts zählt und seinen Autor auf die Liste der Nobelpreis-Kandidaten brachte. Dass sich nun die bedeutendste ungarische Regisseurin unserer Zeit an eine Adaption wagt liegt also nah, zumal der weibliche Blick Ildikò Enyedis der aus männlicher Sicht geschriebenen Geschichte eine besondere Note verleihen sollte.

Wie der Titel schon andeutet ist „Die Geschichte meiner Frau“ der Blick eines Mannes auf seine Frau, die Sicht des egozentrischen, arroganten Jacob Störrs auf seine Frau Lizzy, ein zartes, aber doch lebenslustiges Wesen. Vom ersten Moment an verdächtigt Störr sie der Untreue, besonders der Franzose Dedin (Louis Garrel) ist dabei eine undurchschaubare, immer wieder auftauchende Präsenz. Dabei ist es Störr, der Affären hat, mit der deutschen Grete (Luna Wedler) etwa, aber auch mit zahlreichen anderen, oft sehr jungen Frauen, die sich ihm an den Hals werfen.

Wie ein Männertraum mutet diese Figur an, ein stoischer Kerl, der nicht viel für die Zuwendung der Frauen tun muss, dem dabei aber zu spät klar wird, wen er und vor allem wer ihn wirklich liebt. In den besten Momenten mutet Enyedis Adaption wie eine Variation von Proust an, gefilmt in gediegenen Dekors, in den oberen Sphären der europäischen Gesellschaft, in denen Blicke mehr sagen als Worte. Gerade dass Hauptdarsteller Gijs Naber meist etwas steif und unnahbar wirkt macht seine Figur überzeugend, ein passiver Mann, der durch seine Eifersucht das zerstört, was ihm am liebsten ist.

Doch die Fallstricke einer internationalen Co-Produktion belasten den Film schwer. Gesprochen wird größtenteils Englisch, was zwar inhaltlich Sinn macht, aber für alle Darsteller nicht ihre Muttersprache ist. Dementsprechend holprig muten die Dialoge oft an, wirken viel zu gestelzt, um glaubwürdig, viel zu literarisch, um filmisch zu sein. Enyedis gediegener, oft auch biederer Stil trägt zudem dazu bei, dass „Die Geschichte meiner Frau“ alles andere als modern wirkt, vielmehr wie eine etwas verstaubte Literaturverfilmung aus dem vergangenen Jahrhundert, die zwar in Momenten immer wieder die Qualität der Vorlage erahnen lässt, auf Dauer aber doch scheitert.

Michael Meyns

 


 

Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi („On Body and Soul“) entwirft mit ihrer Adaption des gleichnamigen Romans von Milán Füst die Geschichte einer Suche nach Nähe und die mit ihr verbundene Angst vor dem Verlust über die Kontrolle des eigenen Lebens. Situiert in den 1920er Jahren inszeniert sie die turbulente Ehe zwischen einem verschlossenen Kapitän und einer eigensinnigen Salondame. Das dialogfokussierte Beziehungsdrama wirft dabei wie seine Vorlage einen vielschichtigen Blick auf Geschlechterverhältnisse und die ihnen zugrunde liegenden Macht- und Ohnmachtsfantasien, die nicht nur private, sondern auch gesellschaftliche Dynamiken bestimmen.

Durch die tiefblauen Fluten des Ozeans gleitet ein Walfisch dahin, sein immenser Körper treibt wie ein großes Schiff allein durch das Meer. Im Off ist die Stimme eines Mannes zu hören, der überlegt, wie er seinem künftigen Sohn das Leben erklären soll. Der Kampf um die Kontrolle auf verlorenem Posten, angesichts maritimer Stürme, erscheint ihm dabei als ein passendes Bild.

Kapitän Jacob Störr (Gijs Naber) fährt zur See und transportiert Güter auf Containerfrachtern. Passagiere sind nicht seine Sache und selbst die eigene Crew beobachtet der stattliche Seemann lieber aus der Entfernung seines gehobenen Kajütendecks. Während die Matrosen tanzen, duschen oder sich in erotische Heftchen vertiefen, bleibt der Kapitän missmutig in seiner Kabine, allein mit seiner körperlosen Existenz. Auch das Essen, das er sich von einem eigenen Koch servieren lässt, sorgt für Verdauungsprobleme. Dass Störr Schwierigkeiten hat, sich auf die Welt und das Leben einzulassen, versteht sein Kantinenchef auch in einem weiteren Sinne. Er rät ihm dazu, sich eine Frau zu suchen und zu heiraten.

Wieder an Land, bei einem Treffen mit seinem Geschäftspartner Kodor, rutscht Störr der Gedanke daran als Scherz heraus. Lachend wettet er, dass er die erste Frau ehelichen wird, die durch die Tür des feinen französischen Restaurants kommt, in dem sie sitzen. Keiner der beiden glaubt ernsthaft daran, aber als die charismatische Lizzy (Lea Seydoux) auftaucht und sich allein an einen Tisch setzt, lässt sich der Kapitän zu einer Kurzschlussreaktion hinreißen. Ohne Umwege macht er der fremden Frau einen Heiratsantrag.

Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi hat nach ihrem Goldenen Bären Gewinner „On Body and Soul“ einen Roman von Milán Füst adaptiert, der bislang zu Unrecht wenig Beachtung fand, auch wenn der Autor in den 1960er Jahren sogar für den Literaturnobelpreis nominiert war. Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte um den Kapitän, der sich spontan eine Frau erwählt, wie eine weitere zeitgenössische Kritik an Geschlechterverhältnissen und ihren Machtdynamiken. Das greift jedoch viel zu kurz, wie im Verlauf des Films schnell deutlich wird. Denn Lizzy ist keineswegs eine hilflose, unterwürfige Frau, und ihre Einwilligung in den spontanen Bund mit dem Kapitän hat vielschichtige Motive. Schon bei einem gemeinsamen Strip-Pokerspiel in der ersten Nacht zeigt sie, wer die Hosen in der Beziehung anhat, klar wird es spätestens, als sie sich lachend seine Kapitänsmütze aufsetzt.

Enyedis Film ist aber gerade deshalb so besonders, weil sie die Geschichte zwischen Mann und Frau nicht nur als Machtkampf, sondern als gemeinsames Ringen um die Fähigkeit zur Hingabe erzählt. Denn erst die Aufgabe von Kontrolle und Allmachtsfantasien macht Beziehungen möglich. Damit schließt sie an die Fragen aus ihrem poetischen Vorgängerfilm an: Wie kann man sich dem anderen öffnen und in der Nähe zu ihm die eigene Vulnerabilität aushalten? Lässt sich die seelische Vereinzelung überwinden, um ein Leben miteinander zu teilen? In „On Body and Soul“ hatte Enyedi dafür Szenen gefunden, in denen die Liebenden in einer gemeinsamen Traumwelt in Tiergestalt zueinander finden.

„Die Geschichte meiner Frau“ ist weniger optimistisch und folgt dabei der melancholischen Vorlage, die auch einen politischen Hintergrund hat. Füst vollendete den Roman 1942 in Budapest. Als ungarischer Jude war er aus dem sozialen Leben ausgeschlossen und musste die Deportation fürchten. Die meisten der Schriftstellerkollegen waren längst ins Exil geflohen. Sein Protagonist, den er an die Figur des „Fliegenden Holländers“ angelehnt hat, sehnt sich nach Verbindungen zur Außenwelt und ist doch zu misstrauisch, um sich auf einen Menschen einzulassen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die chronische Eifersucht des Kapitäns in einem anderen Licht. In sieben Kapiteln, die Enyedi gesetzt hat, muss Störr mit dem Kontrollverlust als Preis der Liebe umgehen. Lizzy, die von seinem Geld lebt und ganz zufrieden damit ist, dass er monatelang zur See fährt, genießt derweil das Leben in mondänen Pariser Salons. Ein hartnäckiger attraktiver Verehrer (Louis Garrel) macht den Kapitän zunehmend nervös. Schließlich verlegt er sogar die gemeinsame Wohnung nach Hamburg, aus Angst davor, von Lizzy betrogen zu werden. Doch so schmerzhaft seine anhaltende Paranoia auch ist, durch die Lebendigkeit seiner Frau ist er gezwungen, sich den Unwägbarkeiten des Lebens zu stellen, Schwäche zu zeigen, Ohnmacht zuzulassen.

Fokussiert auf die Dialoge verfolgt das Drama hauptsächlich in kammerspielartigen Szenen die Entwicklung der beiden Protagonisten, ihre Spielchen und ihre Angst sich aufeinander einzulassen. Besonders atmosphärisch sind dabei die Passagen gelungen, die in der Hamburger Speicherstadt gedreht und in herbstlich-goldenes Licht getaucht sind. Fast drei Stunden dauern Enyedis Szenen einer Ehe und es braucht auch seitens der Zuschauer eine gewisse Hingabe und ein Interesse an psychologischen Dynamiken, um dem Film gerne zu folgen. Dann wird man jedoch mit einer komplexen Geschichte belohnt, die über den Unterhaltungswert hinaus zum Nachdenken über Kontrollzwang und Machtlosigkeit anregt.

Silvia Bahl